Freitag, 27. Juni 2025

Zur Erinnerung an Oskar Maria Graf

 


Ohne Bleibe

Der Schnee fällt unablässig still und fein
vom dunklen Himmel nieder.
Die Gaslaternen leuchten arm im gelben Schein
und meine Schritte werden immer müder.
Ich bin den ganzen Tag von Tür zu Tür gelaufen
und konnt´ mir dafür grad´ die Suppe kaufen.

Die langen Straßenfronten sind verstummt.
Ich höre nur mein eig´nes Schnaufen.
Weitum ist alles weiß und schneevermumt
und nirgends kann ich schlafen.
Ich weiß nicht mehr, ist´s kalt, ist´s heiß,
und werde langsam selbst ein Brocken Eis.

Ich will mich einfach auf den Boden legen.
Ich wette, wer dies sieht,
den wird dies Sterben nicht erschrecken.
Es ist ja immer nur das alte Lied:
Die einen werden fett vor lauter Segen,
doch unsereins kommt viel zu spät. . .

Aus: Arbeiter-Zeitung, Wien 22. 12. 1933

Oskar Maria Graf (* 22. Juli 1894 als Oskar Graf in Berg; † 28. Juni 1967 in New York City), krachlederner Anarchist und Heimatdichter. 1911 verließ er sein Elternhaus Richtung München. Durch Zufall kam er mit Vertretern der anarchistischen Gruppe „Tat“ um Erich Mühsam und Gustav Landauer in Kontakt. In den Jahren 1912/13 vagabundierte er durch Oberitalien, begleitet vom Maler Georg Schrimpf, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Zeitweise arbeiteten beide auch in der Künstler- und Reformerkolonie Monte Verità bei Ascona. 1914 erschienen erste Gedichte von Oskar Graf in der expressionistischen Zeitschrift Die Aktion. 1919 kam er wegen der Teilnahme an den revolutionären Bewegungen in München erneut für einige Wochen ins Gefängnis.
1927 gelang Graf mit seinem autobiografischen Werk Wir sind Gefangene der literarische Durchbruch, der ihm eine Existenz als freischaffender Schriftsteller ermöglichte. In den darauffolgenden Jahren konnte er mit dem Bayerischen Dekameron (1928) und dem Roman Bolwieser (1931) weitere Publikumserfolge verbuchen.

Am 17. Februar 1933 fuhr er zu einer Vortragsreise nach Wien, wo er Mitglied der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller wurde. Dies war der Beginn seines anfangs freiwilligen Exils. Als Graf aufgrund einer Meldung im Berliner Börsen-Courier den Eindruck gewann, dass seine Bücher nicht der Bücherverbrennung durch die Nazis am 10. Mai 1933 zum Opfer gefallen seien und ihre Lektüre sogar empfohlen würde (tatsächlich standen fast alle seine Werke auf der „Schwarzen Liste“ zur „Säuberung der Volksbüchereien“), veröffentlichte er am 12. Mai 1933 in der Wiener Arbeiter-Zeitung den Artikel Verbrennt mich!

„Verbrennt mich! Ein Protest von Oskar Maria Graf.

[…] Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, daß meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbanden gelangen!
Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein, wie eure Schmach!
(Alle anständigen Zeitungen werden um Abdruck dieses Protestes ersucht. Oskar Maria Graf.)“

Im Dezember 1957 erhielt Oskar Maria Graf die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Wegen seines kompromisslosen Pazifismus wurde aus der dabei abzulegenden Eidesformel der Absatz „Über die Verteidigungsbereitschaft mit der Waffe in der Hand“ gestrichen. Erst als er im Januar 1958 seine Einbürgerungsurkunde in Händen hielt, wagte er im Juni desselben Jahres erstmals nach dem Krieg wieder eine Europareise. Bis dahin befürchtete er, dass ihm bei seiner Rückkehr die Einreise in die USA verweigert würde. Nach seiner Ankunft in München sollte er im Cuvilliés-Theater in der Münchner Residenz eine Lesung halten. Da er darauf bestand, dort in der kurzen Trachtenlederhose aufzutreten, verursachte er einen „mittleren Skandal“ in der Kulturszene der bayerischen Landeshauptstadt. Oskar Maria Graf starb im Juni 1967 im Mount Sinai Hospital in New York City. (Wiki)

Das Portrait (1927) ist von Georg Schrimpf (1889 - 1938)

Donnerstag, 26. Juni 2025

Peter Hammerschlag: Abrüstung

 



Abrüstung


Sieben kleine Mäuschen
Gehn zum Mittagsbrot,
Silberweiße Fläuschen,
Schwänzchen rosenrot.

Sieben schwarze Kätzchen
Machen auf sie Jagd.
Gibt es ein Gesetzchen,
Das dies untersagt?

Mäuschen sie erbleichen
Jäh im Todesschreck:
«Wollen uns vergleichen!
Lösegeld sei Speck!»

Sieben Katzenmäulchen
Schlecken ungeniert,
Und nach einem Weilchen
Sind sie saturiert.

Nichts vom Speck geblieben –
Kätzchen wollen mehr! –
Speisen drum die sieben
Mäuschen zum Dessert.

Peter Hammerschlag, Dichter, Kabarettist und Graphiker, geboren am 17. Juni 1902 in Wien, ermordet 1942 im Konzentrationslager Auschwitz

Cäsar Flaischlen: Gedichte in Prosa

 



Ganz still einmal …

Ganz still einmal im Grünen liegen dürfen ... zu einem sommerblauen Himmel sehn, mit weißen Wolken ... und auf das Zwitschern in den Wipfeln hören ... auf das Geriesel heimlicher Quellen ... den Duft der Luft einschlürfen und des blühenden Laubes, die selige Ruhe rings des vollen, reifen Lebens ... ganz still, und nicht zu denken haben an all die hundert nichtigen Notwendigkeiten, die so und so viel Sorglichkeit und Müh erfordern, und nur: damit das Pendelwerk des Tags nicht stehen bleibt ... ganz still einmal im Grünen liegen können
und alles
vergessen dürfen, was man soll und muß ... und will! für andere und für sich! und will und soll und muß!
und seine Träume
gleich Schmetterlingen gaukeln lassen,
sonnenselig,
von Rosenstrauch zu Rosenstrauch, mit schimmernden Flügeln, das flimmernde Tal hin, über goldene Felder und wallende Flüsse zu duftverlorenen fernen Höhn und weiter, tief und immer tiefer, ins uferlose Blau des Himmels ... sonnenselig ...
ganz still einmal so liegen können
und ohne daß
auch diesem Tag dann wieder vom Kirchturm drüben eine Glocke klingt
und ohne daß
auch dieser Tag dann wieder im Grau der Abenddämmerung untersinkt!


Ende

Verträumt und müde wie ein Schmetterling im September taumelt der Sommer das Gelände entlang. Altweiberfäden wirren sich um seine zerrissenen Flügel und die Blumen, die noch blühen, haben keinen Honig mehr.

Am Hochwald drüben, hinter dem die Sonne glutet, lauert die Nacht, gleich einer großen Spinne, und wie ein engmaschiges Netz hängt sie die Dämmerung vor das verflackernde Abendrot, nach dem der Schmetterling seinen Flug nimmt.


So still und ruhig …

So still und ruhig, so erfüllten Wunsches froh gingen auch wir einst durch die lauten Straßen, langsam, Arm in Arm, und plaudernd, wie man so plaudert, wenn man Sommerabends durch die Straßen schlendert ... ein bißchen aus den Häusern rauszukommen und die Sonne untergehn zu sehen,
draußen, über der Heide, braun und rot ...
es ist so schön, die Sonne untergehn zu sehn und Hand in Hand so, eines stillen Glückes ruhig, im schattenlosen, weichen Licht der Dämmerung zu stehen.

Und nun ist alles, wie vor jenem Sommer:
in Hast und Unruh hetz ich durch den Tag und suche mich in Arbeit zu vergessen und nenne das: Sieg! und nenn es Knabentorheit: seine Zeit an solche Stimmungen und Liebesträume zu vertrödeln!
Und dennoch, wenn ich auf den Straßen dann und wann Zwei gehen sehe, unbekümmert um den Lärm rings plaudernd und so still und ruhig, wie auch wir einst gingen ...
da packt es mich und wie ein Bettler folg ich ihnen, irgend ein paar Worte zu erhorchen, und wie ein Dieb, von ihrem stillen Glück mir was zu stehlen.


Sonnentage


Einzig schöne Tage, Sonnentage der Seele ...
da sie stille liegt in wunschlosem Traum, wie der Märchensee hoch oben in stiller Schwarzwaldberge grüner Einsamkeit!

Keine Welle kräuselt seinen klaren Spiegel ...
nur wenn eine weiße Wasserrose in froher Sonnensehnsucht sich aus seiner Tiefe hebt
oder wenn ein kleiner Vogel, ein Liedchen zwitschernd, über ihn streift, mit leichtem Flügel
oder wenn
ein braunes Reh wo aus den Tannen tritt, an ihm zu trinken.


Aus: Gedichte in Prosa, 1897 Cäsar Flaischlen (* 12. Mai 1864 in Stuttgart; † 16. Oktober 1920 im Sanatorium Horneck in Gundelsheim) war Anfang des 20. Jahrhunderts ein bekannter Lyriker und Mundartdichter.

Das Bild ist von Alseli Gallen-Kallela (1865 - 1931)


Dienstag, 24. Juni 2025

Jura Soyfer: Genfer Abrüstungsrede

 



Genfer Abrüstungsrede

Messieurs! Die Welt hört ab Montag bereits
Außer dem faden Schlachtengetümmel
Lieblich aus der französischen Schweiz
Unserer Friedensglocken Gebimmel.

Verehrte Herren! In heißem Dank
Wird die Menschheit auf uns schauen:
Wir werden der Welt, die vom Rüsten so krank,
Endlich das richtige Pulver brauen!

Wir sitzen bei trautem Kanonengebrumm,
Und in den Lüften (Sie werden's kaum glauben)
Flattern Bombenflugzeuge herum
Und gurren wie richtige Friedenstauben!

Die Friedenspalmen schütteln sich leis ...
Prosit, meine Herren, Sie sollen leben!
(Der Toast gilt zwar nicht den Toten Schanghais,
Doch würde auch sie dieser Anblick erheben.)

Ein Halleluja dem Völkerbund!
Die Kommission wirkt energisch im Osten,
Sie macht bei Gefallnen den Leichenbefund
Und berechnet bei Bombardements die Kosten!

Schluss mit den langen Kriegen ab heut!
Ich höre die Englein Schalmeien blasen ...
Bald ist der menschliche Fortschritt so weit,
Dass wir, meine Herren, mit Sicherheit
Die Menschheit in sechzig Minuten vergasen . . . 

Jura Soyfer, aus: Das Gesamtwerk, Hrsg. Horst Jarka. Europa, Wien 1980

Jura Soyfer wurde am 8. Dezember 1912 in Charkow, Ukraine geboren und starb am 16. Februar 1939 im KZ Buchenwald an Typhus. Er war einer der bedeutendsten politischen Schriftsteller Österreichs in den 1930er Jahren.

Die Genfer Abrüstungskonferenz war eine internationale Konferenz, die vom 2. Februar 1932 bis zum 11. Juni 1934 mit Unterbrechungen in Genf tagte. Das Bestreben der Konferenz, die im Anschluss an die seit 1925 im Jahresturnus tagende Vorbereitende Abrüstungskommission einberufen wurde, bestand darin, das Rüstungsniveau ihrer Teilnehmer „in dem höchsten, mit der jeweiligen nationalen Sicherheit vereinbaren Maße“, zurückzufahren. Das Foto ist vom Februar 1932


Montag, 23. Juni 2025

Emmy Hennings: Verlorenes Paradies

 



Verlorenes Paradies

I

Einmal deuteten unsere Prisma-Augen den Regenbogen.
Offenbarten Gott, der über Bergeskurven ging im Abendfrieden.
Sahen die Engel in den tiefen Tälern leuchten.
Wir verstanden das Murmeln der Geister in den Goldquellen
Und erwiderten die Schneeflockensprache, die aus der Höhe sank.
Wir lugten hell durch die sieben Schleier der Himmel,
Unsere Zärtlichkeit belauschte die keimende Saat,
Blütenverliebt fiel von unseren Lippen das Lob des Schöpfers
Im Namen aller Wälder. . .
Der Morgen sang im Lied der Lerche,
Die frühe Stunde brachte der Sonne den Dank,
Noch im Sinken waren wir lächelnde Osterkinder.

II

Alle lebenden Wesen trugen die süße Bürgschaft der Verkündigung.
Das Tier war unser freundlich Geschwister, demütig und lieb.
O Spielen in den Schlehdornhecken mit Zaunkönig und Schäfchen!
Das Lamm war Kind und neigte schüchtern den Kopf,
Wenn wir vorübergehend grüßten:
„O du weißes Bekenntnis der Menschheit!“
Dann lächelten die braunen Pferde so treu verträumt,
Und in ihren warmen Augen winkte weiches Wünschen.
Da beschützten wir die zarte Hingebung aller Wesen.
Der Mensch, ein Hirtenlied, sang der Sanftmut süße Macht.
Die Welt war Gottes Gruß und Weide.
Des Schlafes grüner Abhang Thron und Traum der ruhenden Natur.

III

Im Nachtschatten aber wuchs der Baum der Erkenntnis.
Kein Tag lieh Licht seiner Irrwischschönheit.
Zwielicht war ihm gegeben zur Versuchung.
Der heimliche Baum, in düsterer Pracht, lockte zweifelumwoben:
„Ihr werdet sein wie Gott.“
Da bezauberten schon die Früchte, lügenrot, ein lohend giftig Züngeln,
Und in verschwiegener Dämmerung ging lüstern das Bedenken durch die Welt.
Da fiel der Sinn, mit ihm versank der Garten Eden.

IV

Jetzt hast du, Menschenkind, dein Glück versagt.
O Suchersehnsucht, warum hast du „Warum“ gefragt.
Die Sonnen grübeln nicht „Woher, wohin?“
Wir tiefen Gräber suchen überall und immer Sinn.
Wir rechnen Tage, und vermessen uns,
Wir sagen Sage und versagen uns.
Wir suchen Wahrheit und versuchen uns.
Wir sind Gedicht und siebenfacher Wahn,
Wir hohen Sternendeuter unsrer Sternenbahn.

Emmy Hennings, aus: Helle Nacht, Gedichte, verlegt bei Erich Reiss, Berlin 1922

Emmy Hennings, geboren am 17. Januar 1885 in Flensburg; gestorben am 10. August 1948 in Sorengo bei Lugano, Dichterin, unter anderem Mitbegründerin des legendären Cabaret Voltaire 1916 in Zürich.

„Niemals hat die Dichterin auf der Sonnenseite gelebt und es leicht gehabt, vielleicht hat sie es auch niemals ernstlich sich gewünscht. Sie lebt lieber unter den Kämpfenden, Armen, Bedrückten, sie liebt die Leidenden, sie fühlt für die Verfolgten und Rechtlosen. Sie bejaht das Leben auch in seiner Härte und Grausamkeit und liebt die Menschen bis in alle Verirrung und Not hinein.“ Hermann Hesse über Emmy Hennings

Das Bild „Das Paradies“ ist von Augusto Giacometti (1877 - 1947)

René Schickele: Gedichte im Garten

 



Gedichte im Garten


Die Arche

Ich wandere
Am schwarzen Wald entlang
Nachhaus.
Aus einem einzigen Stern am Himmel
Bläst der Wind
Immer den gleichen Funken,
Als fürchte er die Nacht im Wald
Und hüte für das Tal, das sie bedroht,
Dies Lichtlein in der Not.

Plötzlich gießt der Mond
Sein Füllhorn aus!
Der Hügel blüht als Weißdornhecke
An einem See,
Darinnen Dorf und Tal versunken.
Mein weißes Haus, die Arche,
Schwimmt darauf
In atemvoller Stille.
Nicht einmal die Hunde rühren sich,
Da ich den Hof betrete,
Im Traum nur hören sie mich kommen.
Süß beklommen
Öffne ich die Tür und trete
In ein Geheimnis ein . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Im dunklen Zimmer,
Im dunklen Bett,
Die Augen geschlossen,
Im dreifachen Sarg,
Sehe ich den Weißdornhügel,
Von seinem Licht umflossen,
Und, wie es sich von ihm löst,
Mein Haus, meine Arche,
Auf dem breiten Tale schwimmend,
Das wiederum ein See ist
Wie vor tausenden von Jahren.


Weiße Herbstastern

Kleine Nebel, nachtentbunden,
Schwebtet ihr frühmorgens aus dem Tal?
Von der Erde überwunden,
Blühn sie wie ein Stern, doch tausendmal!

Von der Erde angezogen,
Spiegeln Himmel sie am lichten Tag,
Sind dem Tage schon entflogen,
Wo an Nacht kein Herz noch denken mag.

Bebend, wenn der Abendstern aufreitet,
Steigen, schwärmen sie zuhauf,
Und, indes die Nacht sich vorbereitet,
Nehmen sie der Erde Lauf:

Blenden fast, bevor sie blassen,
Weil der Sterne Donnerlicht erscheint,
Weil des Todes Schauer sie umfassen,
Der sie doch dem höhern Bild vereint.


Schicksal

Ich liebe dich -
Das ist wie die Blume,
Die jedes Jahr wiederkommt,
In Treue beflissen,
Sobald der Specht, klopfend,
Sie an ihr Versprechen gemahnt.

Ich liebe dich -
Das ist wie die Blume,
Die vergeht, wenn der Wind,
Ein Bote der Sterne,
Die Vögel, ihre Spielgefährten,
Auf einmal entführt.

René Schickele, aus: Klingsor, Siebenbürgische Zeitschrift, Erstes Jahr April bis Dezember 1924, Klingsor Verlag Kronstadt

René Schickele (1883 – 1940); Dichter aus dem Elsass, setzte sich nach dem ersten Weltkrieg engagiert für die deutsch-französische Aussöhnung ein. Schon 1932 ahnte er, was sich in Deutschland anbahnte und emigrierte nach Südfrankreich. Dort lebte er, bis er einige Monate nach Einmarsch der Wehrmacht am 31. 1. 1940 an Herzversagen starb. Auch seine Werke wurden von den Nationalsozialisten den Flammen übergeben.

Das Bild ist von Else Berg, einer niederländischen Malerin, geboren am 19. Februar 1877, die am 19. November 1942 im KZ Auschwitz Birkenau ermordet wurde.

Freitag, 20. Juni 2025

Hans Schiebelhuth: Liebeslieder

 



Liebeslieder

I.

Für die letzte Erkühnung bleibt noch,
Daß einer über sich wächst,
Die Sonn stürmt,
Des Mondes sich bemächtigt,
Die Sterne einfängt wie Fliegen . . .
Aber was dann?

O, ich liebe die Erde;
Auf ihr will ich bleiben
Jeglichem Wesen gut.
Und wo kein Ausweg mehr ist,
Ist ein Inweg
Und ein Entgegengeschehn,
Dunkel und hell von Begegnung.

O, ich liebe die Erde;
Auf ihr will ich bleiben,
Ihr Glück kommt zu mir,
Ein Kind,
Das mich unschuldig küßt -
Unversehens ists Deine Lippe.


II.

In meiner Brust brennt ein Stück von einem zersprungenen Stern,
Der schien schöner vordem, wenn deine Sonne vorübergeht
Und ich leide Heimweh.
Vielleicht bin ich auch nur eine Waldsage: Das Geflüster des Laubs nach dir,
Oder die leise Bewegung der Blumen gegen den wandernden Strahl
Oder irgend ein letztes verlornes Geschöpf in den Ozeanen des Lichts,
Das für eine Sekund aus Sehnsucht nach dir das Begreifliche streift. . .
Aber Liebe will nicht was ich bin, sondern daß du bist.


Hans Schiebelhuth, aus: Klingsor, Siebenbürgische Zeitschrift, Erstes Jahr April bis Dezember 1924, Klingsor Verlag Kronstadt

Hans Schiebelhuth, 11. Oktober 1895 in Darmstadt; gestorben am 14. Januar 1944 in East Hampton, New York, USA, expressionistischer deutscher Schriftsteller und Übersetzer. Er übersetzte unter anderem sehr früh den amerikanischen Schriftsteller Thomas Wolfe (Schau heimwärts Engel) und sorgte mit seinen Übertragungen dafür, dass Wolfe in Deutschland bekannter war, als in seinem Heimatland.



Das Bild ist von Edvard Munch (1863 - 1944)