Samstag, 11. Januar 2025

Annette von Droste-Hülshoff: Ein milder Wintertag

 



Ein milder Wintertag

An jenes Waldes Enden,
Wo still der Weiher liegt
Und längs den Fichtenwänden
Sich lind Gemurmel wiegt;

Wo in der Sonnenhelle
So matt und kalt sie ist,
Doch immerfort die Welle
Das Ufer flammend küßt:

Da weiß ich, schön zum Malen,
Noch eine schmale Schlucht,
Wo all die kleinen Strahlen
Sich fangen in der Bucht;

Ein trocken, windstill Eckchen
Und so an Grüne reich,
Daß auf dem ganzen Fleckchen
Mich kränkt kein dürrer Zweig.

Will ich den Mantel dichte
Nun legen übers Moos,
Mich lehnen an die Fichte
Und dann auf meinen Schoß

Gezweig' und Kräuter breiten,
So gut ich's finden mag:
Wer will mir's übel deuten,
Spiel ich den Sommertag!

Will nicht die Grille hallen,
So säuselt doch die Ried;
Sind stumm die Nachtigallen,
So sing' ich selbst ein Lied.

Und hat Natur zum Feste
Nur wenig dargebracht:
Die Lust ist stets die beste,
Die man sich selber macht.

Annette von Droste- Hülshoff (geboren am 12., nach anderen Quellen am 10. Januar 1797, gestorben am 24. Mai 1848), aus: Die schönsten Gedichte, I
nsel Taschenbuch 4525

Bild: Caspar David Friedrich (1774  -  1840)

Mittwoch, 18. Dezember 2024

Emmy Hennings: Ich lebe im Vielleicht / Ach, was soll mir all Bekennen. . .

 


Ich lebe im Vielleicht

Ich lebe im „Vielleicht“,
Bin eine stumme Frage
Und alles ist mir Sage,
Soweit Gedanke reicht.
O komm, geliebtes Schweigen,
Und hüll mich zärtlich ein.
Wird alles anders sein,
Will ich mich tiefer neigen.

Emmy Hennings

Ach, was soll mir all Bekennen,
Schönes Schweigen, hüll mich ein.
Trunken in mir selber brennen,
Will ich Rausch und Säule sein.
Wort und Namen – wozu nennen?
Nicht mehr hören, nicht mehr sehn,
Wenn des Lebens bunte Chöre
Klingend mir vorüberwehn.
Nur die Siegel mögen brennen
Tief in meiner Seele Grund.
Daß ich Katakombe wäre,
Flamme, Gold und Gottesmund . . .

Emmy Hennings, aus: Emmy Ball-Hennings: Hugo Ball - Sein Leben in Briefen und Gedichten; Mit einem Vorwort von Hermann Hesse; S. Fischer Verlag Berlin 1930
Hennings, Emmy, geboren am 17. Januar 1885 in Flensburg; gestorben am 10. August 1948 in Sorengo bei Lugano, Dichterin, unter anderem Mitbegründerin des legendären Cabaret Voltaire 1916 in Zürich. „Ich habe eine Aversion gegen den Dadaismus gehabt. Es waren mir zu viele Leute entzückt davon.“

„Niemals hat die Dichterin auf der Sonnenseite gelebt und es leicht gehabt, vielleicht hat sie es auch niemals ernstlich sich gewünscht. Sie lebt lieber unter den Kämpfenden, Armen, Bedrückten, sie liebt die Leidenden, sie fühlt für die Verfolgten und Rechtlosen. Sie bejaht das Leben auch in seiner Härte und Grausamkeit und liebt die Menschen bis in alle Verirrung und Not hinein.“ Hermann Hesse über Emmy Hennings

„Zu einer Zeit, im Jahre 1915, als weder ich noch Tzara, noch Arp mir ihm zusammen waren, als Ball mit seiner Frau Emmy Hennings, als Refraktaer, unter dem Druck der Schweizer Fremdengesetze, ohne Geld und Nahrung muehselig existierte, wurde das Cabaret Voltaire gegruendet. Weder Arp noch ich noch gar Tzara gruendeten das Cabaret Voltaire, sondern Ball mit seiner Frau Emmy Hennings. . . . Emmy Hennings´ Einfluss war still, aber trotz seiner Unbemerktheit ausserordentlich stark.“

Aus: Richard Huelsenbeck, „Autobiographie“ (um 1953), Typoskript im Nachlass.
Das Bild ist von Marianne von Werefkin (1860 - 1938)

Dienstag, 17. Dezember 2024

Eddy Beuth: Tanze mit mir!

 



Tanze mit mir!

Komm, tanze mit mir! In den Flackerschein
meiner wilden Wünsche hüll ich Dich ein.
Die Geigen locken so süß, so leis,
ich bin so jung und ich bin so heiß
und ich schenke Dir in der einen Nacht,
was Deine Sehnsucht nie sterben macht.
Tanze mit mir!

Und lache mit mir und gieb mir Wein!
In mein goldnes Märchenhaar spinn ich Dich ein.
Ich bin so bleich – nun küsse mich rot,
küß meine wühlende Sehnsucht tot,
die in mir aufschluchzt mit zitterndem Laut. –
Der, den ich liebe, – der küßt seine Braut.

Eddy Boyth, aus: Liebeslieder moderner Frauen
Eine Sammlung von Paul Grabein
Gedruckt und verlegt bei Berlin Hermann Costenoble 1902

Eddy Beuth, ursprünglich Marie Cohn, geboren am 7. Mai 1872 in Breslau; gestorben am 14. Dezember 1938 in Hamburg, Schriftstellerin und Drehbuchautorin.

Marie Cohn alias Eddy Beuth wurde als Tochter des jüdischen Technikers Isidor Cohn und seiner Frau Frida (geb. Vogel) in Breslau geboren. Sie verwendete im Laufe ihres Lebens verschiedene Namen bzw. Namensvarianten. Für ihre Veröffentlichungen – Liedtexte, Beiträge für Zeitschriften und Bücher – verwendete sie jedoch zeitlebens das Pseudonym Eddy Beuth. Vermutlich wählte sie wie viele Frauen ihrer Zeit ein androgyn klingendes Pseudonym in der Hoffnung, auf diese Weise ihren Beruf ohne Vorurteile ausüben zu können und leichter Anerkennung zu finden. Das Chanson begann sich grade in Deutschland zu etablieren als Eddy Beuth ihre Arbeit als Textautorin mit den bedeutendsten Komponisten des Genres aufnahm. Ab 1904 verfasste Beuth unter anderem Chansontexte für das Cabaret Roland und später für das Berliner Chat noir und trug damit wesentlich zum Erfolg des Komponisten Rudolf Nelson bei. Daneben arbeitete sie auch mit Siegwart Ehrlich, Ludwig Friedmann und Martin Knopf zusammen. Ihre Chansons interpretierten unter anderem Claire Waldoff, Fritzi Massary und Erika Glässner. 1907 textete Beuth das Lachchanson Nach dem Balle für das Wiener Kabarett Die Hölle. Daneben war Eddy Beuth als Drehbuchautorin tätig – ihr Werk kann der expressionistischen Phase des Stummfilms zugeordnet werden.

Nach dem Tod ihres dritten Mannes zog Eddy Beuth 1930 zu ihrer ebenfalls verwitweten Schwester Lisbeth Freund nach Hamburg, wo sie bis zu ihrem gemeinsamen Tod zusammenlebten. Die letzten Lebensjahre waren für die jüdischen Schwestern überschattet von antisemitischen Repressalien. Die Gesetze der Nationalsozialisten führten 1938 schließlich auch für Eddy Beuth zum Berufsverbot als Schriftstellerin. Im Dezember 1938 nahmen sich die Schwestern das Leben.

Das Bild ist von Alphonse Palumbo (1890 - 1947)

Mittwoch, 20. November 2024

Paula Modersohn-Becker: Der Abend leget warme. . . / An die Mutter

 




Der Abend leget warme
hernieder seine Arme
und wo die Erde zu Erde
da ruhen seine Hände. . .
Die Mücklein summen leise
in ihrer hellen Weise
und alle Wesen beben
und singen leis vom Leben. . .
Es ist nicht groß, es ist nicht breit,
s´ ist eine kleine Spanne Zeit
und lange währt die Ewigkeit. . .


An die Mutter

. . . Doch nun zu dir, einzige Mutter.
Ich bin mit meinen Gedanken so oft bei dir.
Ich lerne dich mehr und mehr verstehen.
Ich ahne dich.
Wenn meine Gedanken bei dir sind,
dann ist es, als ob mein kleiner,
unruhiger Mensch sich an etwas Festem,
Unerschütterlichem festhält.
Das Schönste aber ist, daß diese Feste,
Unerschütterliche so ein großes Herz hat.
Laß dir danken, liebe Mutter,
daß Du Dich so uns erhalten hast.
Laß dich ganz ruhig und lange umarmen.

Aus: Modersohn-Becker, Briefe. Berlin, den 1. November 1897

Paula Modersohn-Becker, geborene Minna Hermine Paula Becker, geboren am 8. Februar 1876 in Dresden-Friedrichstadt; gestorben am 20. November 1907 in Worpswede, Malerin und eine der bedeutendsten Vertreterinnen des frühen Expressionismus. In den knapp 14 Jahren, in denen sie künstlerisch tätig war, schuf sie 750 Gemälde, etwa 1000 Zeichnungen und 13 Radierungen, die kennzeichnende Aspekte der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts in sich vereinen. (Wiki)



Das Foto zeigt die Malerin auf ihrer Veranda in Worpswede 1901, das Bild ist von ihr.

Montag, 11. November 2024

Hannah Szenes: Wir pflücken Blumen

 



Wir pflücken Blumen (1944)

Wir pflückten Blumen in den Feldern und auf den Bergen,
Wir atmeten den frischen Frühlingswind,
Die Sonne durchdrang uns mit ihren warmen Strahlen
in unserer Heimat, in unserem geliebten Land.

Wir gehen zu unseren Brüdern ins Exil,
zu den Leiden des Winters, zum Frost in der Nacht.
Unsere Herzen werden vom Frühling erzählen,
unsere Lippen singen das Lied des Lichts.

Hannah Szenes, geboren als Anikó Szenes am 17. Juli 1921 in Budapest; gestorben am 7. November 1944 ebenda, ungarische Widerstandskämpferin, die mit anderen jüdischen Frauen und Männern mit dem Fallschirm hinter der deutschen Front absprang, um zu versuchen, Juden zu retten. AlsTochter des Journalisten und Kinderbuchautors Béla Szenes demonstrierte ihr eigenes literarisches Talent von klein auf und schrieb seit ihrem dreizehnten Lebensjahr bis kurz vor ihrem Tod an ihrem Tagebuch.

Am 13. Mai 1944, auf dem Höhepunkt der Deportation der ungarischen Juden, überquerte Szenes die Grenze nach Ungarn. Sie wurde bereits am nächsten Tag aufgrund einer Denunziation von der ungarischen Polizei verhaftet. Aus der Akte der damaligen ungarischen Regierung geht hervor, dass sie schwerer Folter unterworfen wurde, den Code der geheimen Funkverbindung aber nicht preisgab. Sie lehnte auch dann jede Kooperation ab, als die ungarische Polizei ihre Mutter in die Zelle brachte und drohte, sie ebenfalls zu foltern.

In ihrem Prozess im Oktober 1944 verteidigte Hannah Szenes ihre Aktivitäten und verweigerte eine Entschuldigung. Als sie am 7. November 1944 durch eine Erschießung hingerichtet wurde, lehnte sie eine Augenbinde ab, um dem Exekutionskommando in die Augen blicken zu können.

Nach ihrem Tod wurden ihre literarischen Arbeiten entdeckt. Ihr Tagebuch und die anderen Schriften wurden veröffentlicht, viele ihrer Gedichte wurden bald berühmt, da sie eine selbst in schlimmen Zeiten hoffnungsvolle, starke Frau in aufrechter, heldenhafter Haltung zeigen. Einige der Gedichte wurden vertont.

Das Foto zeigt sie 1942

Freitag, 8. November 2024

Martin Gumpert: Euch fehlt die Phantasie

 


Zum Gedenken an den 9. November 1938: Euch fehlt die Phantasie

Daß man euch durch die Straßen jagen wird,
Daß man eure Schränke durchwühlen wird,
Daß man euer Telephon überwachen wird,
Daß man euch Titel und Namen nehmen wird,

Daß eure Freunde euch nicht mehr grüßen werden,
Daß eure Frauen euch nicht mehr lieben werden,
Daß eure Kinder euch nicht mehr achten werden,
Daß eure Diener euch nicht mehr dienen werden;

Euch fehlt die Phantasie, was wahr wird, zu erinnern,
Euch fehlt die Kraft, was wirklich wird, zu glauben,
Euch fehlt der Mut, was klar ist, zu erkennen,
Euch fehlt das Wort, und, was ihr wißt, zu sagen.

Daß man euch hinter Stacheldraht sperren wird,
Daß man euch ins Gesicht speien wird,
Daß man eure Bücher verbrennen wird,
Daß man euer Werk verleugnen wird,

Daß man euch aus dem Lande treiben wird,
Während Glocken läuten und Schafe weiden,
Während Züge pünktlich einlaufen und abfahren,
Während der Bäcker jeden Morgen das Brot bringt,

Ohne daß eine Hand sich erhebt,
Ohne daß ein Sturm sich zusammenzieht,
Ohne daß eine Stimme aufschreit,
Ohne daß eine Träne sich loslöst,

Daß ihr vergessen sein werdet, als wäret ihr nie gewesen,
Daß ihr gekommen sein werdet und davongegangen,
Daß ihr verloren sein werdet und verschollen,
Daß der Tag ohne euch dämmert und dunkeln wie je:

Euch fehlt die Phantasie, um was ihr tut, zu fürchten,
Euch ist die Macht geraubt, euch zu erschrecken,
Euch ist der Ton versagt, um aufzustöhnen,
Euch ist das Glück versagt, vor Scham zu weinen.

Martin Gumpert (1934); aus: „An den Wind geschrieben - Lyrik der Freiheit 1933 - 1945“, gesammelt, ausgewählt und eingeleitet von Manfred Schlösser, Humanistische Schriftenreihe Agora, Darmstadt 1961

Martin Gumpert, geboren 1897 in Berlin, Arzt und Schriftsteller, emigrierte 1936 in die USA, wo er 1955 in New York starb.

Freitag, 1. November 2024

Eleonore Kalkowska: Mit weichen Schleiern sollst du es umkleiden. . .

 



Mit weichen Schleiern sollst du es umkleiden. . .


Mit weichen Schleiern sollst du es umkleiden,
Was zwischen uns in jenen Tagen war,
So glüh es wie ein Licht auf nebelschweren Heiden,
Ein tiefverhülltes Bild am heiligsten Altar. ...

O, sanft und silbern möge es uns strahlen,
Wie Vollmondglanz durch leichte Wolkenschalen,
In zarter Reife soll versteckt es beben
Wie Pollen, der vom Blütenkelch umgeben. ...

So tief verschlossen, vornehm soll es ruhen,
Wie zarte Spitzen in geschnitzten Truhen,
Auf daß draus süße Düfte mögen steigen,
So oft wir unser Haupt darüber neigen.


Aus: Die Oktave, Gedichte von Eleonore Kalkowska, Egon Fleischel & Co. Berlin 1912

Eleonore Kalkowska, geboren am 22. Juni 1883 in Warschau, war eine polnisch-deutsche Schriftstellerin und Schauspielerin.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde Eleonore Kalkowska 1933 zweimal verhaftet, jedoch nach Intervention des polnischen Gesandten jeweils kurz darauf wieder freigelassen. Daraufhin verließ sie Deutschland und lebte zunächst in Paris, danach in London. Sie starb am 21. Juli 1937 in Bern.