Gefunden im Skulpturenpark Gröpelingen, Bremen |
Jura Soyfer wurde am 8. Dezember 1912 in Charkow, Ukraine geboren und starb am 16. Februar 1939 im KZ Buchenwald an Typhus. Er ist einer der bedeutendsten politischen Schriftstellern Österreichs in den 1930er Jahren.
Uralte Silvesterlegende
Die Menschheit sah: Ihr altes Jahr
War schäbig und war dreckig.
Die Menschheit sah: Vom Blute war,
Vom Schweiße war es fleckig.
Die Abbau trifft im Januar,
Die fanden es zu kurz. Und bang
Schwor ihr die Arbeitslosen schar,
Es sei zu lang! Es sei zu lang!
War schäbig und war dreckig.
Die Menschheit sah: Vom Blute war,
Vom Schweiße war es fleckig.
Die Abbau trifft im Januar,
Die fanden es zu kurz. Und bang
Schwor ihr die Arbeitslosen schar,
Es sei zu lang! Es sei zu lang!
Die Menschheit sah, daß ihr Gewand
Mehr keinem wollte passen,
Weshalb sie es für gut befand,
Ein neues sich nähn zu lassen.
Die Nacht war kalt. Die Menschheit stand
Halb hoffnungsglühend und halb nackt.
Es flog des Meisters flinke Hand
Im Uhrentakt, im Uhrentakt.
Mehr keinem wollte passen,
Weshalb sie es für gut befand,
Ein neues sich nähn zu lassen.
Die Nacht war kalt. Die Menschheit stand
Halb hoffnungsglühend und halb nackt.
Es flog des Meisters flinke Hand
Im Uhrentakt, im Uhrentakt.
Die Uhr schlug zwölf. Der Meister rief,
Zur Erde tief sich bückend:
Das Jahr – ich spreche objektiv –
Steht Ihnen ganz entzückend!
Die Menschheit lachte, trank und schlief.
Und schlief die Nacht ganz wunderbar.
In ihren Träumen froh sie lief
Im neuen Jahr! Im neuen Jahr! ...
Zur Erde tief sich bückend:
Das Jahr – ich spreche objektiv –
Steht Ihnen ganz entzückend!
Die Menschheit lachte, trank und schlief.
Und schlief die Nacht ganz wunderbar.
In ihren Träumen froh sie lief
Im neuen Jahr! Im neuen Jahr! ...
Die Menschheit fühlte sich sehr krank,
Als Frühfrost wach sie rüttelte,
Und als sie von der Stadtparkbank
Ein Mann, der's durfte, knüttelte.
Sie sagte ihm gleich frei und frank,
Daß sie kein Bettelweib doch sei!
Ob er nicht sah: Ihr Jahr sei blank
Und frisch und neu! Ganz frisch und neu!
Als Frühfrost wach sie rüttelte,
Und als sie von der Stadtparkbank
Ein Mann, der's durfte, knüttelte.
Sie sagte ihm gleich frei und frank,
Daß sie kein Bettelweib doch sei!
Ob er nicht sah: Ihr Jahr sei blank
Und frisch und neu! Ganz frisch und neu!
Der Mann verzog zum Spott den Mund.
Die Menschheit aber blickte
Aufs neue Jahr. Erhob sich und –
Das Jahr, das neue, drückte!
Es drückte Hals und Schultern wund!
Es hing herab, ein Lumpenschurz!
Es war zu lang oder im Grund
Vielleicht zu kurz? Vielleicht zu kurz?
Die Menschheit aber blickte
Aufs neue Jahr. Erhob sich und –
Das Jahr, das neue, drückte!
Es drückte Hals und Schultern wund!
Es hing herab, ein Lumpenschurz!
Es war zu lang oder im Grund
Vielleicht zu kurz? Vielleicht zu kurz?
Es trug sich schwer! Ein freier Schritt
In ihm hieß Weh und Wimmern!
Durch seinen Stoff von schlechtem Schnitt
Sah bloß man Flecke schimmern!
Ja, brauner Schimmer Blutes glitt
Durch sein Gewebe, dünn und glatt.
Es krachte dumpf wie Dynamit
Des Jahres Naht, des Jahres Naht ...
In ihm hieß Weh und Wimmern!
Durch seinen Stoff von schlechtem Schnitt
Sah bloß man Flecke schimmern!
Ja, brauner Schimmer Blutes glitt
Durch sein Gewebe, dünn und glatt.
Es krachte dumpf wie Dynamit
Des Jahres Naht, des Jahres Naht ...
Ein neues Jahr? Nein, das war's nicht.
Die Menschheit war verblendet:
Man hatte ihr bei Sternenlicht
Den alten Rock gewendet!
Den alten Rock, der würgt und sticht,
Sie wenden ihn ohne Ende.
Die Menschheit war verblendet:
Man hatte ihr bei Sternenlicht
Den alten Rock gewendet!
Den alten Rock, der würgt und sticht,
Sie wenden ihn ohne Ende.
Die Menschheit aber sah es nicht.
Sie schleicht mit gläubigem Gesicht
Zur nächsten Jahreswende.
Sie schleicht mit gläubigem Gesicht
Zur nächsten Jahreswende.
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