An die Schönheit
So sind wir deinen Wundern nachgegangen
wie Kinder· die vom Sonnenleuchten trunken·
ein Lächeln um den Mund· voll süßem Bangen
wie Kinder· die vom Sonnenleuchten trunken·
ein Lächeln um den Mund· voll süßem Bangen
und
ganz im Strudel goldnen Lichts versunken·
aus dämmergrauen Abendtoren liefen.
Fern ist im Rauch die große Stadt ertrunken·
aus dämmergrauen Abendtoren liefen.
Fern ist im Rauch die große Stadt ertrunken·
kühl
schauernd steigt die Nacht aus braunen Tiefen.
Nun legen zitternd sie die heißen Wangen
an feuchte Blätter· die von Dunkel triefen·
Nun legen zitternd sie die heißen Wangen
an feuchte Blätter· die von Dunkel triefen·
und
ihre Hände tasten voll Verlangen
auf zu dem letzten Sommertagsgefunkel·
das hinter roten Wäldern hingegangen – –
auf zu dem letzten Sommertagsgefunkel·
das hinter roten Wäldern hingegangen – –
ihr
leises Weinen schwimmt und stirbt im Dunkel.
1904
Aufbruch: Hier ist Einkehr
Hier ist Einkehr. Hier ist Stille,
den Tagen und Nächten
zu lauschen, die aufstehen und
versinken.
Hier beginnen die Hügel. Hier hebt
sich,
tiefer landwärts, Gebirge,
Kiefernwälder
und durchrauschte Täler.
Hier gießt sich Wiesengrund ins
Freie.
Bäche spiegeln gesänftigt reine
Wolken.
Hier ist Ebene, breitschultrig,
heftig blühend,
Äcker, streifenweis geordnet,
Braunschollig, grün, goldgelb von
Korn,
das in der Julisonne reift.
Tag kommt mit aufgefrischtem Himmel,
blitzend in den Halmen;
Morgen mit den harten, kühlen
Farben,
Die betäubt in einen brennendgelben
Mittag sinken –
grenzenlose Julisonne über allen
Feldern,
In alle Krumen sickernd, schwer ins
Mark versenkt,
bewegungslos,
In langen Stunden weilend, nur von
Schatten überwölbt,
die langsam weiter laufen,
Sich strecken und entzündet in das violette
Farbenspiel
des Abends wachsen,
Das nicht mehr enden will.
Schon ist es Nacht, doch trägt die
Luft
Mit Dämmerung vollgesogen
noch den lichten Schein,
Der tiefer blühend auf der
Schwingung
der gewellten Hügelränder läuft –
Schon reicht unmerklich Frühe an die
Nacht
der weißen Sterne.
Bald weht aus Büschen wieder
aufgewirbelt junges Licht.
Und viele Tag und Nächte werden in
der Bläue
auf- und niedersteigen,
Eintönig, tief gesättigt,
wunschlos in der großen
Sommerseligkeit –
Sie tragen auf den schweren
sonngebräunten Schultern Sänftigung
und Glück.
Der Lyriker Ernst Stadler, geboren am 11. August 1883 in Colmar, Elsass;
starb am 30. Oktober 1914 bei Zandvoorde
nahe Ypern in Belgien („Flandernschlacht“). Leider wurde er, bevor er eine
Gastprofessur in Toronto annehmen konnte zum Militärdienst eingezogen.
"Ist Ernst Stadler Deutscher oder ist er ein Franzose, der das Deutsch als Kultursprache schreibt, etwa wie die Belgier französisch schreiben? Seine "Präludien" sind Ausklänge, zufällig. Ein schöner und zarter Traum, den ein ursprünglicher Charakter nachträumt, um das Nachher besorgt und von neuen Geistern längst besessen. Es ist weder Verlaine, noch Régnier. Herr Stadler hat sich in ihre Landschaften verirrt und baut ihre Gärten nach eigenem Empfinden um. Es ist ein Kunststück, er beweist, daß er zu dichten versteht, auch in dieser Gegend, die ihm übrigens sehr sympathisch erscheint; in diesen flüchtigen Gebilden, vor Sonnenaufgang, schwankt ein dunkler Kern, ein ganz eigener, überlegen. Stadlers Gedichte bezeugen eine wirkliche Originalität durch scheinbares, liebevolles Eingehen auf fremde Techniken, auf Empfindungsarten anderer. Ein ahnungsweises Eingehen. Dabei finden sich keine zehn Zeilen, die rein anempfunden wären, wiewohl sie die Originalität verschleiern und manchmal auszulöschen drohen. Der dunkle Kern in der Orgie matter Farben, zärtlicher Musik, das Eigene läßt sich schwer bestimmen, nur daß es lebt, läßt sich fühlen. Kinderaugen blicken in perverse Pracht und gefahrvolle Landschaften und zucken nicht. Fromme Hände flackern unzüchtig. Nicht, als ob die Originalität lediglich ideeller Art wäre, auch die Form verwahrt ein Heiliges, Eigenes. Eine Form, die nur scheinbar den Marmor sucht; sie verflüchtigt sich vielmehr wie Wind und Welle. Wenn es vorüber ist, bleibt ein schmiegender Duft, fallen immer wieder zwei, drei Töne in Moll. In Moll, ewig in Moll: das scheint Stadlers Naturell. Kontraste und Dissonanzen fehlen. Ich glaube nicht daran, meine vielmehr, daß dies eine Wirkung der Dichtart ist, in der er sich ergeht. Wie er sie empfand, weich, verträumt, giebt er sich wieder. Unfreiheit, Schüchternheit bannten ihn in die Farben und Klänge der Dämmerungen; mir scheint, es gilt allein, das Klima zu wechseln. Man muß eben weit gehen, um seine Heimat zu finden, um den Ort, wo man zutiefst wurzelt, zu begreifen, denn man hat sich zu früh verirrt"
René Schickele aus: Das litterarische Echo.
Halbmonatsschrift für Litteraturfreunde.
Jg. 7, 1904/05, Heft 16, 15. Mai 1905,
Das Bild "Kleine Hütten im Wald" ist von der 2017 verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch.
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