Vorfrühling
Schon harren tausend Knospen
Am noch verschloßnen Tor,
Dann bricht an allen Enden
Das junge Laub hervor.
Schon wandelt an den Hängen
Ein hoffnungslauer Wind,
Wo bald die Anemonen
Vom Schlaf erstanden sind.
Nun breitet bald die Erde
Ihr bräutlich Linnen aus
Und wartet froh des Liebsten,
Der kommt mit Sturmgebraus
Er kommt mit hellem Pfeifen
Und singt nicht gern allein.
Er springt durch’s offene Fenster
Der Braut ins Haus hinein.
Schon flüstern durch die Stauden
Die Wünsche rings im Land;
Am Walde seh ich flattern
Der Freiheit Fahnenband.
Schon harren tausend Knospen
Am noch verschloßnen Tor,
Dann bricht an allen Enden
Die neue Zeit hervor!
Paul Haller, aus: Gedichte; herausgegeben von Dr. Erwin Haller, Verlag von H. R. Sauerländer & Co. Aarau 1922
Paul Haller, geboren am 13. Juli 1882 in Rein bei Brugg (heute zu Rüfenach); gestorben am 10. März 1920 in Zürich, Schweizer Schriftsteller.
Literarisch bedeutsam sind Hallers Mundartepos Juramareili und sein Mundart-Drama Marie und Robert. In beiden Werken gelang Haller eine eigenständige schweizerische Adaption des Naturalismus, den er während seines Studiums in Berlin kennengelernt hatte. Im sozialkritischen Versepos Juramareili schilderte er das Schicksal eines Mädchens, dessen Leben durch den väterlichen Alkoholmissbrauch ruiniert wurde. Das im Arbeitermilieu angesiedelte Marie und Robert war das erste ernste Mundartdrama und thematisierte den Konflikt zwischen Liebesleidenschaft und Gewissen.
Mit seinen Mundartdichtungen hat er Aargauer Autoren wie Hansjörg Schneider und Hermann Burger beeinflusst. Doch auch seine hochdeutschen Dichtungen gehören zum Eindringlichsten, was die Jahre zwischen 1910 und 1920 in der Schweiz hervorgebracht haben. (Wiki)
Das Foto zeigt den Dichter 1910
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