Sonntag, 17. März 2024

Paul Kraft: Nacht-Lied / Lied beim Aufwachen am Morgen

 



Nacht-Lied

Abende im Bette zu liegen
Unter den Bildern und Sternen
Und im Dufte der Fernen
Selig sich wiegen.

Gleitend in Decken zu fahren
Durch goldene Weiten
Und in Seligkeiten
Durchleuchtet sich baden.

Federn und Laken voll Güte,
Nacht  -  und Süße  -  beschattet.
Was im Lichte sich mühte,
Ist nun ermattet.

(Alles löst sich von dir,
Chemie und Mathematik,
Des Lehrers dämonischer Blick
In dein beglänztes Revier.)

Denken an eine Frau,
Die nackt und ganz nah an dir lag,
An Duft von Weiche und Blau
Und Teppichgemach.


Lied beim Aufwachen am Morgen

Morgendlich angeschmiegt
An schmeichelnde Kissen,
Wehes, das dich umfliegt,
Ist nun zerrissen.

Freundlich funkelt noch nach,
Was du im Schlafe genossen,
Was dich, halbträumend, halbwach  - 
Leuchtend umflossen.

Seidenes und kühles Gedicht
Klingt in dir.
Schwebendes, tanzendes Licht
Verstrahlt an dir.

Glieder werden wie Gold,
Sind so dem Leben entbebt.
Alles ist nun verzollt,
Was du mit Beben gelebt.

Glieder lösen sich sanft,
Werden gewichtlos und leicht.
Liebe, die zu dir sich neigt,
Führt dich aus Nacht in den Tag.

Paul Kraft, aus: Gedichte, Kurt Wolff Verlag, Leipzig, als achtzehnter Band der Bücherei „Der jüngste Tag“, 1915

Paul Kraft, geboren am 28. April 1896 in Magdeburg – Sudenburg, gestorben am 17. März 1922 in Berlin, Lyriker, erste Veröffentlichungen ab 1913 in der von Franz Pfempfert herausgegeben Zeitschrift Die Aktion. Durch Vermittlung von Franz Blei erscheint 1915 im Kurt Wolff Verlag in der Reihe „Der jüngste Tag“ sein Band Gedichte. Er stirbt am 17. März 1922 an den Folgen einer falsch behandelten Lungentuberkulose im Krankenhaus Neukölln in Berlin.

In der verdienstvollen Reihe VERSENSPORN erschien 2022 das Heft Nr. 49, es bietet mit insgesamt 32 Texten neben einer Auswahl aus Krafts einzigem Band „Gedichte“ auch einige nur verstreut veröffentlichte Gedichte sowie eine größere Anzahl unveröffentlichter Texte, die die Grundlage für das 1921 nicht zustande gekommene Gedichtbuch 1921 bildeten.

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