Die Tänzerin
Ich bin der Ostwind: hört ihr mich mit Wipfeln schlagen
Ich bin das Finstre: fühlt ihr mich aus Mooren ziehn ?
Ich bin der Himmel: mit dem Großen Wagen.
Die Erde: mit Chalcedon und Rubin.
Die Schritte, mächtig und gemessen,
Ich habe ihrer keinen noch vergessen,
Nicht aller Farben: Berggrün und Karmin.
Ich ziere meinen Hals so wie ein Schwan.
Die Freude spiegelt sich in seinem Biegen
Und lächelt in ihr Angesicht,
Ihr Schleier sprudelt Quellchen, die sich schmiegen
In dieses stillere, das weite Licht,
Das ihre Brauen bringen,
Des Trauermantels Schwingen,
Der über einer Goldbandlilie dicht.
Ich werfe mich hinüber wie ein Fisch.
Er springt um seinen Tod: so tu' ich Gleiches;
In wunden Kiemen Straßenstaub,
Schlag' ich mich selbst aufschnellend an die Tür des Reich
Das ewig raschelt von verfallen greisem Laub,
Drin kleine Mühn mit Qual verflochten
Zu häßlich schwelendem Gestirn, zerfransten Dochten,
Die krämpfezuckend suchen ihren Raub.
Ich trage dies mein Haar zur Erde hin.
Ich bin der Baum der demütigen Klage. Weide.
Ich bin das Ding, das niedert: Sensenblatt und Krug.
Ich bin der Mensch - auch wenn ich meine Seele
scheide,
Dem Schiff voll weißer Segel mit des Leibes Bug.
Sie wartet, die ich ausgewiesen,
Auf seinen letzten Augenblick, auf diesen,
Und kehrt zurück in einem tiefen Atemzug.
Gertrud Kolmar, aus: 49 Gedichte in 4 Räumen, geschrieben um 1933, posthum veröffentlicht
Gertrud Kolmar (Pseudonym für Gertrud Käthe Chodziesner, geboren am 10. Dezember 1894 in Berlin. Ab Ende der 1920er-Jahre erschienen einzelne ihrer Gedichte in literarischen Zeitschriften und Anthologien. 1934 wurde ihr zweiter Gedichtband Preußische Wappen im Verlag Die Rabenpresse von Victor Otto Stomps publiziert. Diese Veröffentlichung brachte den Verlag auf eine Liste unerwünschter Verlage des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, von dem er dann boykottiert wurde. Kolmar durfte ab 1936 nicht mehr unter ihrem Künstlernamen publizieren, sondern nur noch unter ihrem Familiennamen Chodziesner.
Ab Juli 1941 musste Gertrud Kolmar Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie leisten. Ihr Vater wurde im September 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert und starb dort im Februar 1943. Gertrud Kolmar wurde am 27. Februar 1943 verhaftet und am 2. März 1943 im 32. sogenannten Osttransport des RSHA in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Von den etwa 1500 Berliner Jüdinnen und Juden, die in diesem Zug am 3. März 1943 in Auschwitz ankamen, wurden nach der Selektion an der 'Alten Rampe' 535 Männer und 145 Frauen als „arbeitsfähige“ Häftlinge registriert und in das Lager eingewiesen. Die übrigen etwa 820 Deportierten dieses Zuges, darunter Gertrud Kolmar, wurden nicht als Häftlinge registriert und vermutlich sofort nach der Ankunft in der Gaskammer ermordet. (Wiki)
Das Bild ist ein Ausschnitt aus einem Foto von 1937
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