Dienstag, 27. Februar 2024

Iwan Goll: Wald

 



Wald

I

Durch Disteln war der Gang zu dir,
Verschlossen du im glühenden Kosmos
Wie ein Patriarch inmitten Gottes.

Prunkend schienst du staubigem Wanderer,
Verklärt und befriedigt,
Ein heiliger Knecht der Erde;
Und der Fremde fühlte sich fremder noch.

Goldene Leuchter troffen vom süßen Abend,
Um die Leiter letzten Sonnenstrahls
Wirbelten geschäftig die rosa Engel,
Und die Nymphen, deine Töchter,
Hingen ihre silbernen Leiber um deine Lade.


II

Ein Veilchen fiel
Mir plötzlich wie ein blauer Stern zu Füßen:
Ich trug es in den goldnen Abend hin.

Wir beide mit unsern Augen
Leuchteten uns an und loderten gewaltig:
Wir beide hätten so gern geschrieen und geküsst:

Aber unsre Sprache war so schwach:
Und die Liebe so unsagbar traurig!
Wir welkten und starben auseinander.


III

In deinen Tiefen aber,
Aus feuchten Augen gleichen Geistes dunkelnd,
Warst du mir ebenbürtig, Wald!

O, dein Geschöpf zu sein,
Nichts als ein Ton der Erde,
Der Schmetterling ein bunter Tropfen Sonne,
Und schlanke Füchse
Mit starkem Blut aus nahen Büschen fühlen:
Hingabe sein und brüderlicher Friede!

In deinen tiefen Tieren warst du mir geheiligt.
Und ich ergab mich dir,
Ging groß in Trieb und Düften auf.

Iwan Goll, aus: Menschheitsdämmerung, Symphonie jüngster Dichtung, Herausgegeben von Kurt Pinthus, Ernst Rowohlt Verlag, Berlin 1920

Iwan Goll, auch Yvan Goll, geboren am 29. März 1891 in Saint-Dié, Frankreich, gestorben am 27. Februar 1950 in Paris, „hat keine Heimat: durch Schicksal Jude, durch Zufall in Frankreich geboren, durch ein Stempelpapier als Deutscher bezeichnet.

„Iwan Goll hat kein Alter: seine Kindheit wurde von entbluteten Greisen aufgesogen. Den Jüngling meuchelte der Kriegsgott. Aber um ein Mensch zu werden, wie vieler Leben bedarf es. Einsam und gut nach der Weise der schweigenden Bäume und des stummen Gesteins: da wäre er dem irdischen am fernsten und der Kunst am nächsten“. (Iwan Goll über sich selbst)

„Das Besondere in Leben und Werk dieses Schriftstellers wird in seinen Gedichten, Dramen, Romanen und publizistischen Arbeiten deutlich: aus ihnen spricht die Tragik eines Daseins, das sich nicht erfüllt hat und nicht erfüllen konnte. Zwar gelang es Goll immer wieder, den Anschluss an die bewegenden künstlerischen Strömungen seiner Zeit zu finden, doch wurde er nie zu den ganz „Großen“ gezählt.“

aus: Ausgewählte Gedichte, Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig, Klappentext, 1982

Verheiratet war Iwan Goll mit der Dichterin Claire Goll, geboren als Klara Aischmann (1890 - 1977)

Das Foto zeigt den Dichter 1932

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