Samstag, 2. Dezember 2017

Ludwig Jacobowski: Trost der Nacht/Auf dem Lande




Trost der Nacht

Weiche Hände hat die Nacht,
Und sie reicht sie mir ins Bette;
Fürchtend, daß ich Tränen hätte,
Streicht sie meine Augen sacht.

Dann verläßt sie das Gemach;
Rauschen hör´ ich, sanft und seiden;
Und den Dornenzweig der Leiden 
 Zieht sie mit der Schleppe nach.


Dieses kleine Gedicht erinnert mich an das „Wiegenlied“ von Clemens Brentano:

Wiegenlied

Singet leise, leise, leise,
Singt ein flüsternd Wiegenlied,
Von dem Monde lernt die Weise,
Der so still am Himmel zieht.

Singt ein Lied so süß gelinde,
Wie die Quellen auf den Kieseln,
Wie die Bienen um die Linde
Summen, murmeln, flüstern, rieseln.


Auf dem Lande

Roter Mohn, noch frisch betaut,
Federnelken und Lupinen,
Hederich und Wegekraut,
Alles sonnengelb beschienen.

Nirgend Qualm und Schornsteinruß,
Düfte nur, die schmeicheln wollen,
Und ich selbst mit bloßem Fuß
Über Gras und feuchte Schollen.

Ach, ich armes Städtekind
Hab’ mit Steinen spielen müssen,
Die so ungefügig sind,
Dass die Finger sich Zerrissen.

Zwischen Mauern hochgetürmt,
Die die kleine Seele drücken,
Schlich mein Sehnen ungeschirmt,
Um im Lärm fast zu ersticken.

Dass ich fern dem Brausen bin,
Schenkt mir Lust, mich auszutollen,
Und so lauf’ ich nur so hin
Über kühle Wiesenschollen,

Über Mohn, der frischbetaut
Zwischen Nelken und Lupinen.
Wer noch nie ein Gras gekaut,
Geh’ und mach’ betrübte Mienen.

Ludwig Jacobowski, geboren am 21. Januar 1868 in Strelno (Provinz Posen), gestorben am 2. Dezember 1900 in Berlin, war Lyriker, Schriftsteller und Publizist.

Über das literarische Schaffen hinaus liegt die Bedeutung von Ludwig Jacobowskis in seinem repräsentativen Wirken im Berlin der Jahrhundertwende. Die Verschmelzung jüdischer und abendländischer Kulturimpulse führten zu einem außergewöhnlich reichen Schaffen auf verschiedensten gesellschaftlichen Gebieten. Neben der reichhaltigen publizistischen Begleitung seiner Zeit ist hier auch sein volkspädagogisches Engagement zu nennen, besonders sein Versuch, mit „Zehnpfennig-Heften“ wertvolle Literatur für die breite Masse verfügbar zu machen. Seine Mitarbeit im 1890 gegründeten Verein zur Abwehr des Antisemitismus schlug sich auch in seinem Werk nieder.

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