Montag, 26. August 2019

Franz Werfel: Schwermut





Schwermut

Es steht eine Sägemühle im Wald.
Ich bin als Kind vorübergefahren.
War das vor hundert Jahren?
Jetzt bin ich nicht jung und nicht alt.
Doch ich weiß in der Straßen Lärmgefahren:
Ein Wasser schellt und schallt
Und wirft mit raschen, mit blauen Haaren
Übers Rad seine heilige Gewalt.

Heut ist der Holunderbaum schon abgeblüht
Und knarrte erst gestern in Frost und Schnee!
Wer rechnet das aus? Ich habe Heimweh,
Während ich doch in der Heimat steh.
Ich sprang ja kaum aus dem Bett und bin schon müd.
Knaben rennen und wälzen sich wild durchs Gras.
Sie halten unter die alte Pumpe ihr brennendes Gesicht.
Das sind nicht meine Kameraden, ich kenne sie nicht,
Und doch ist mein Mund vom Trunk noch tropfnaß.

Ich bin ein Same, hierher verweht
Aus einer fremden Welt.
Dies ist nicht mein Planet.
Doch hab ich einen Halm in die Sonne gestellt,
Und manchmal faßt ihn solcher Wonne Gewalt,
Als neigten sich durch einen Spalt
Seine wahren Brüder und Eltern vom Zelt.
Tau fällt.
Aber in einem alten Wald
Heiliges Wasser schallt, schellt.

Nun steh ich vor dem Gehöft der Nacht.
Der Wächter fragt: Was hast du tagsüber gemacht?
Ich habe mit meinen Küssen versengt,
Die mir am meisten Liebe geschenkt.
Der Wächter fragt: Was bringst du in der Hand?
Einer Lerche Asche, die sich am Herdfeuer verbrannt.
Der Wächter fragt: was weißt du zu berichten,
Undeutliche Gestalt?
Dies blieb mir von allen Geschichten und Gesichten:
Eine Sägemühle steht im Wald. 



Franz Werfel, geboren am September 1890 in Prag, Schriftsteller, Dramatiker und Lyriker, ging 1938 nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich ins Exil, zuerst nach Frankreich, dann in die USA. 1941 erhielt er die amerikanische Staastsbürgerschaft. Er starb am 26. August 1945 in Beverly Hills, Kalifornien.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen