Ich möchte in diesem Blog Werke von Dichterinnen und Dichtern einstellen, welche mir bei meinen Streifzügen durch die Welt der Poesie begegnet sind, und die mir gefielen. So wird dies ein ganz persönliches Kompendium, von dem ich mir dennoch erhoffe, dass es auch anderen Menschen Freude macht. Also, viel Spaß beim Stöbern wünscht Dingefinder Jörg Krüger.
Freitag, 23. August 2019
Walter Serner: Manschette 7 / 9 / 5
Am 23. August 1942 starb wahrscheinlich im Wald von Biķernieki bei Riga bei Massenerschießungen seitens der Nationalsozialisten auch der Dichter, Dadaist und Schriftsteller Walter Serner.
"Weltanschauungen sind Vokabelmischungen"
Manschette 7 (Romance)
Es ist nicht schwierig blond zu sein
Seit es in manchen Nächten
rote Ringe sprengt einher
ist jede Hoffnung auf den Sinn der Stunde
faul
Schau mir ins Auge
Krachmandel auf Halbmast
Cointreau triple sec mit Doppeltaxe
Jede Halswolke ein Fehlgriff
Jede Bauchfalte ein Vollbad
Jedes Hauptwort ein Rundreisebillett
Je te crache sur la téte
Schau mir ins Auge
A
Ist es so schwierig blond zu sein
Manschette 9 (Elegie)
Sprich deutlicher
Ein gelber Spazierstock rutscht mir quer durchs Haupt
Es ist in allen Kellern
heller als in meinem Darm
Sprich deutlicher
Ich höre gern den Hieb auf nackte Babyhintern
seit es dich entzückte
wenn ich davon wirbelte bloß
O warum sich nicht langsam streicheln
Stiefelknechte still verzückt begrüßen
jenseits jeder bürgerlichen Küche
o sprich deutlicher
Mach platzen deinen feisten Dreckhügel
ob deinem Bauch
durch ein gewaltiges metaphysisches Rülpsen
Manschette 5 (Epitaph postal)
Du hast die nassen Fetzen nie geliebt
Auf deinem Tische jede Semmel war ein Grund
Auf deiner Oberlippe schwang der letzte Rand
Du pfiffst Vokale aus wie stets an mir
An deinem Handgelenk hing alles heftig
Du warst Verstand
Du gabst mich auf
Aus: „Der Zeltweg“, Redaktion Flake/Serner/Tzara, Verlag Movement DADA, Zürich, November 1919
Am 10. August 1942 – Serner arbeitete inzwischen als Sprachenlehrer im Prager Ghetto – wurde er zuerst mit dem Transport Ba nach Theresienstadt, am 20. August 1942 mit dem Transport Bb nach Riga deportiert und dort – wahrscheinlich am 23. August 1942 – im Wald von Biķernieki zusammen mit seiner Frau Dorotea und allen anderen 998 Menschen dieses Transports ermordet.
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