Mittwoch, 28. August 2019

Ludwig Bäumer: Dämmerung im Graben

Kurt Schwitters (1878 - 1948): Das "Bäumerbild"


Dämmerung im Graben

Wir sind längst mehr als dreimal verleugnet. In unsern Gebärden
Fielen alle Sehnsüchte zusammen, alle die waren
In unsern Müttern und Vätern. Wir stehn vor unsern Bahren
Und fangen Tode auf, damit wir zu Ende werden.

Denn das ist unser Sinn: Wir sind Kinder einer Zucht ohne das Sträuben
Von Kindern gegen ihre Zucht. Stärkelos! Wir haben die Augen
Die im eigenen Gehirn wühlen und Schmerzen saugen.
Wir sind längst mehr als dreimal verleugnet
Und müssen mehr als einen Gott betäuben.

Uns ist keine Wiederkehr gesegnet und unserm Weinen kein Amen
Zärtlicher Munde, die einmal vor Süße brachen.
Unsere Mütter versagten,
Die uns beklagten:
Wir staunen über die, die den Weg der Mütter kamen.

Und das verläßt uns nicht. — — Vielleicht wenn wir einmal wissen,
Daß wir Kinder des Irrtums sind und darum Unverzeihliche der Zeit,
Vielleicht dann ... Was? ... Stärkelos ... Ein Land bleicht weit,
Und viele fielen, und wir sehnen uns in reine Kissen.

(Bereitschaft 1. Februar 1916.)

Aus: 1914 - 1918, Eine Anthologie, Verlag der Wochenschrift Die Aktion (Franz Pfemfert, Herausgeber), Berlin-Wilmersdorf, 1916

Ludwig Bäumer, geboren am 1. September 1888 in Melle; gestorben am 28. August 1928 in Berlin lebte ab 1910 in der Künstlerkolonie Worpswede. Am Ersten Weltkrieg nahm er als Unteroffizier teil, wandelte sich dann jedoch zum Kriegsgegner und war während der Novemberrevolution in Bremen als kommunistischer Politiker aktiv. Ende 1918 war er Delegierter auf dem Gründungsparteitag der KPD in Berlin. Im Januar 1919 wurde er Mitglied des Rates der Volksbeauftragten der Bremer Räterepublik.

Bäumer wohnte bis 1922 weiter in Worpswede, schließlich als freier Schriftsteller in München und Berlin. Am 28. August 1928 nahm er sich in Berlin das Leben.

Kurt Schwitters widmete ihm 1920 das "Bäumerbild" 

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