Hugo Ball: Totenrede für Hans Leybold
(April
1915)
Hans
Leybold — ich muß ihn ja gekannt haben! Wir führten an den Kammerspielen in
München zusammen Hauptmanns »Helios« auf. Er war ein Student. Er machte mich
mit der »Aktion« bekannt. Er negierte mein Gesäß. Er reizte mich maßlos.
Wir fanden
einen kleinen Verlag in München. Der hieß Bachmair, H. F. S. X. Y. Bachmair.
Anlaß vielen Gelächters für uns. Sprach Leybold: »Lasset uns eine Zeitschrift
gründen!« Die hießen wir »Revolution«. Als die Zeitschrift gegründet war,
verlangten die Abonnenten ein Programm. Leybold sprach: »Wohlan denn, Ihr —,
wennschon immerhin: Hier habet ihr ein Programm«. Und schrieb: »Kampf gegen
Seiendes, für Keimendes. Gegen Kunstportiere, Kulturportiere, Avenariusse,
Scharrelmänner, Obskuranten, Schwärzlinge, Hertlinge, Hohlwege,
Panteutschisten, Stagnaten, Kastraten. Gegen literaturbehaftete Oberlehrer,
kunstsinnige Kritiker, allgemeine Rundschauer. In Summa: Gegen Zuständliches«.
Und fügte hinzu: »Nichtschriftsteller heraus! Keine Literaten sollen gezüchtet
werden«. Da hatte man denn die Revolution! Da war sie. 20 Jahre alt war der
Kerl. Sehr hurtig. Und paffte einfach drauf los.
Sprach
jemand in Berlin: »Was ist das für eine Revolution, die ihr da macht in
München! Da steht ja kein Satz Politik drin!« »Richtig«, sprach Leybold, »da
steht kein Satz Politik drin. Was soll man tun?« 5 Minuten später waren wir
konfisziert mit Nummer I.
»Holla«,
sagte ich zu ihm, »da steht nur kein Sozialismus, keine Altersfürsorge, kein
Mutterheim, kein Rotes Kreuz drin. Und auch die Rosa Luxemburg wird nicht
mitarbeiten. Noch Frau Zetkin«. »Aaber: Politik, zum Donnerwetter, Politik«,
sprachen wir zweistimmig, »ist das etwas anderes als die Lehre von den Mitteln,
mit denen man sich selbst oder eine Idee durchsetzt? Und wenn unsere Idee — na,
sagen wir schon — ›der Geist‹ ist, ist es vielleicht unsere Politik, daß wir
›den Geist‹ durchsetzen?« Unter Geist verstanden wir aber alles, was gegen das
Gesäß, gegen die Verdauung und gegen das Finanzherz gerichtet ist. Jeglichen
Fanatismus im Gegensatz zu jeglichem Traum- und Innenleben. Jegliche Anarchie
im Gegensatz zu jeglichem Bonzentum (sei's, wer's sei). Wir versuchten, das
überlegene geistige Kaliber in unsere Hand zu bekommen und es spielen zu
lassen. Wir suchten jede Handlung, jedes Unternehmen, jede Zeile Geschriebenes
nur im Zusammenhang mit unserer Endabsicht zu ästimieren, für Komplexe
empfindlicher als für Äußerungen. Für Wandlungen dankbarer als für »Charakter«.
Unser Ziel aber hieß: Geistige Konspiration zwecks Ermöglichung geistiger
Werte.
Inzwischen
verspritzten wir Glossen und Gedichte, nach allen Seiten. »Die Revolution«
verkrachte nach 5 Nummern. Leybold wurde nacheinander Mitarbeiter des »März«,
des »Vorwärts«, der »Aktion«, der »Zeit im Bild«, der »Tat«.
Das
Bedeutsamste, was er in dieser Zeit schrieb, scheint mir eine Glosse in »Zeit
im Bild« gewesen zu sein. Dort vertrat er die Ansicht: »Es muß (in diesem Volk)
immer etwas los sein. Immer etwas knallen, passieren. Immer wer angezaubert
werden. Laut erhebet eure Stimmen, lauter, lauter. Der Zweck heiligt die
Mittel«. Ein richtiger Jesuit, was? »Die Stillen im Lande«, meinte er, »werden
nicht gehört«. Er meinte damit solche Herren Hermann Stehr, Gustav Landauer,
Paul Boldt und andere.
Und es begab
sich, daß uns der Einfall kam, Franz Blei zu propagieren. Wir fanden das sehr
witzig. Blei hatte immer propagiert. Warum sollte er nicht selbst einmal
propagiert werden? Also spielte er die Uraufführung seiner »Welle« in den
Münchener Kammerspielen. Leybold programmatelte. Seewald inszenierte. Ich
zeichnete verantwortlich. Wir bewarben uns um eine Theater-Direktion in
Dresden. Wir versuchten das Münchener Künstlertheater in unsere Hand zu
bekommen (wohl wissend, daß das Theater der springende Punkt ist). Wir planten
eine internationale Anthologie von Lyrik. »Teufel, Teufel«, sagte Leybold,
setzte sich in die Eisenbahn und fuhr nach Kiel.
Wir
entspannen einen heftigen Briefwechsel. Er warb um mich, vorsichtig und
höflich, wie um eine obszöne Frau. Wir erkannten einander und setzten ein
Psychofakt in die Welt, das wir Baley nannten und das den Zweck hatte, Posen,
Gesten, Vexationen zu kultivieren. Arrogant zu sein wie — wie Einstein.
Ich
befreundete mich mit Kandinsky und ging zum Expressionismus über. Er
seinerseits empfahl mir Heinrich Manns »Professor Unrat« zur Lektüre. Ich
schrieb ihm:
»Wir,
Bruder, toben mit den grellen Bumerangs, Trompetenbäume schrillen in Cis-Moll.
Wir
schnellen durch die Luft gleich Fetzen grünen Tangs,
Blutäugig
fliegende Fische voller Haß und Groll.«
Ich suchte
ihn von Heinrich Mann und seiner Begeisterung für die Sachlichkeit abzubringen.
In
demselben Moment erklärte Kaiser Wilhelm, daß das mit den Franzosen und Russen
so nicht weitergehen könne. Und Leybold schwenkte auch die Fahne und blies auch
ins Hifthorn und machte auch den Krieg mit Frankreich. Mir persönlich ist ja
der Krieg unsympathisch, denn es ist eine Rigorosität, daß Leute wie Pèguy
erschossen werden. Aber man kann nichts machen. Denn der Krieg ist eine Notwendigkeit
Gottes. Dazu kam, daß Leybold eine Sympathie hatte für Kanonenrohre, weil sie
ihn mit Freudschen Theorien erfüllten.
Doch
hiervon genug. Sie werden wissen wollen, was dieser geniale junge Mann positiv
geleistet hat. Nun denn! Er starb auf dem Felde der Ehre (viele Russen sterben
anderswo). Er hat eine Zeitschrift gegründet, die einen sehr bedeutungsvollen
Namen hat. Er pöbelte gegen Otto Ernst, gegen die Epigonen des Turnvaters Jahn,
gegen Roda Roda, Feistritz, Walter Kollo und viele andere. Was an sich nichts
bedeutet. Aber er faßte diese Insekten in Kristall, putzte sie auf, hing ihnen
Schellen und Lendenschürze um, so daß mit der Zeit eine recht niedliche
Negertruppe daraus geworden wäre.
Sodann: Er
tat furchtbar viele Frauen auf: bei ihm eine Form der Propagierung des
öffentlichen Lebens. Glich sich dadurch Ulrich von Hutten an. Dichtete:
Unglaublich
viele schöne Frauen gibt es in der Stadt,
Sie
haben blaßgepuderte Wangen und ziegelrote Münder,
Sie
sind teils kränklich, teils gesünder,
Manche
quellen über, manche werden niemals satt.
Er fiel
Athleten an, Kunstturner, Studenten, Cafétiers und stiftete auf diese Weise
eine Art abgekürzter Polemik. Er hielt es für ganz unwichtig, Literatur zu
machen, und für sehr schwer, ein deutscher Schriftsteller zu werden, weil das
eine contradictio in adjecto sei.
Aber das
alles half ihm nichts. Eines Tages, mitten im Krieg, stürzte er vom Pferd, vor
der Stadt Namur, kam zurück nach Berlin, pflanzte einen Vollbart ins Café des
Westens und begab sich in seine Garnison Itzehoe, von wo er depeschieren ließ,
er sei mit dem Tode abgegangen.
Es ist
unerhört und scheußlich, daß dieser junge Mann aus dem Kriege nur die physische
Konsequenz ziehen mußte, während die geistige ihm versagt blieb. Er ging ein
(literarisch gesprochen). Er verendete (literarisch gesprochen). Er starb in
irgendeiner Ecke, ohne einen Laut, und ohne daß er noch jemand gesprochen
hätte. Fürs Vaterland. Aber er wollte hinaus aus dem Vaterland. Immer. Nur
hinaus aus dem Vaterland. Mangel an Vaterland war direkt ein Defekt bei ihm. So
war er geartet.
Ich sehe
ihn vor mir, unbändig lachend. »Menschenskind, eine Totenrede?« Schon klemmt er
das Monokel ins Auge, gibt seinem Körper einen Ruck und sistiert die
Vorstellung. Oder auf der Straße: Er trägt einen blauen Mantel, geht mit
verkniffenen, breitgeschwungenen Augenbrauen nach dem Tempo einer Automobilhupe
und spuckt. »Alter Bulle«, sage ich zu ihm, »wir werden noch manchen Kampf
miteinander zu kämpfen haben.« »Woll, woll«, sagt er, im raschen Gehen auf der
Straße, während der Mantel fliegt.
Widersprechen
Sie nicht! Kaufen Sie seine nachgelassenen Glossen und Gedichte, die ich
herausgeben werde. Er ist hin. Es muß ihm sehr schwer gefallen sein, wie ich
ihn kenne. Aber es ist nichts zu machen. Gedenken Sie seiner! Haben Sie
Mitleid! Seien Sie freundlich! Sie alle haben seinen Tod mitverschuldet. Alle,
wie Sie auch hier unten sitzen. Möge Ihnen sein Name einfallen, wenn Sie Ihre
Kinder säugen!
Ich habe
dem nichts hinzuzufügen.
O über allen Wolkenfahnen . . .
O über allen Wolkenfahnen,
die windgetrieben sich in Bläue krallen,
stehen unverrückbar Sonnen, welche niemals fallen.
wir schwingen uns bewegt in ihre Bahnen,
die windgetrieben sich in Bläue krallen,
stehen unverrückbar Sonnen, welche niemals fallen.
wir schwingen uns bewegt in ihre Bahnen,
sind selber Nebel und bestrahlte
Dämpfe.
Verdrängen wir die nächt’gen Schatten
der Erdendinge! Lassen alle nimmersatten
Begierden. Gelöst sind alle Krämpfe,
Verdrängen wir die nächt’gen Schatten
der Erdendinge! Lassen alle nimmersatten
Begierden. Gelöst sind alle Krämpfe,
die hart die Glieder engten.
Wir werden Äther, Luft und Wellen.
Oh, aus unsern Leibern strömen Quellen,
spritzend in das ungewohnte Licht! Wir schenkten
Wir werden Äther, Luft und Wellen.
Oh, aus unsern Leibern strömen Quellen,
spritzend in das ungewohnte Licht! Wir schenkten
uns dem All! Es hat uns königlich
empfangen.
Mit Sturmtrompeten und mit Regenwehen.
Wie unsre Füße über Sonnenbrücken gehen!
In unsrer Hände Kelch hat sich ein Tropfen Gold gefangen.
Mit Sturmtrompeten und mit Regenwehen.
Wie unsre Füße über Sonnenbrücken gehen!
In unsrer Hände Kelch hat sich ein Tropfen Gold gefangen.
Hans Leybold
wurde am 2. April 1892 in Frankfurt am Main geboren. Er wurde zu Beginn des Ersten
Weltkrieges im Sommer 1914 eingezogen und schon bald vor Namur (Belgien) schwer verwundet. Drei Tage nach seiner
Rückkehr zum Regiment erschoss er sich in der Nacht vom 7. zum 8. September.
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