Montag, 9. September 2024

Else Lasker-Schüler: Marianne von Werefkin

 



Marianne von Werefkin

Ihrem Santos

Marianne steht schon in den Morgenstunden,
Perlenborden grüngelbrote um den Hals gewunden
An dem Autokarren mit den anderen Kunden
Und kauft Kirschen, die ihr ganz besonders munden.

Marianne kleidet sich so ungezwungen
Und ihr Temperament macht Ehre allen Straßenjungen.
Doch auf ihres Herzens Balalaika,
Ist das süße Liebeslied noch nicht verklungen.

Mariannes heiße Bilder offenbaren
In der bunten Wildnatur die Tänze der Tartaren.
Zwischen Schellen in der Troika
Naht ein Brautpaar,
Das sich auf der Zauberleinwand „gerad´“ gefunden.

Else Lasker-Schüler (1869 - 1945), aus dem Nachlass

»Marianne von Wereffkin« (»Marianne steht schon in den Morgenstunden«) • Manuskript: The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501, 2:52). Das Gedicht ist im Spätsommer 1935 in Ascona entstanden.

Marianne von Werefkin, geboren am 10. September 1860 in Tula, Russisches Kaiserreich; gestorben am 6. Februar 1938 in Ascona, Schweiz), Malerin. Im Jahr 1907 entstanden ihre ersten expressionistischen Gemälde. Sie war Mitbegründerin der Neuen Künstlervereinigung München, der unter anderem auch Gabriele Münter, Wassily Kandinsky und Franz Marc angehörten, bevor sie den Blauen Reiter gründeten. 1814 musste sie als Russin in die Schweiz emigrieren. Dort beteiligte sie sich auch an den Aktionen des Cabaret Voltaire. 1918 zog sie nach Ascona, wo sie 1938 verstarb.

Es gibt noch ein zweites Gedicht mit dem Titel Marianne von Werefkin aus dem Nachlass von Else Lasker-Schüler, das anlässlich des Todes der Malerin geschrieben wurde:

Marianne von Werefkin

Der großen Malerin
„betet für sie“ . . . So stand es in der Traueranzeige.

Marianne spielt mit den Farben Rußlands malen:
Hellgrün, rosa, weiß;
Das Kobaltblau, ihr innigster Spielgefährte.

Marianne von Werefkin -
Ich nannte sie den adeligen Straßenjungen
Schon früher in der Russenstadt, im ganzen Umkreis
Den Streich gepachtet.

Ihren Vater, der Verweser Alexanders,
Trug sie im Medaillon um ihren Hals.
Marianne malte ihn - achtjährig war sie erst:
„Es fiel vom Himmel eine Meisterin.“

Goldene Saat wächst auf ihrer Landschaft,
Wenn gottgefällig sich ein Bauernvolk
Im Kreise um die reiche Ernte freut.
Man hört vom Turm Geläut, malte sie den Sonntag.

Mariannes Bilder sind Geschöpfe,
Sie atmen und voll Leben strömen sie.
Und wie ein Meer und wie ein Wald
Bergen sie auch tiefsten Frieden in sich.

Mariannens Seele und ihr unbändiges Herz
Spielen gern zusammen Freud und Leid.
Genau wie sie die Melancholie
Hinmalt in zwitschernden Farbentönen.

»Marianne von Wereffkin« (»Marianne spielt mit den Farben Rußlands malen«) • Typoskript: The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501, 2:67). Weiteres Typoskript: The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501, 2:68). Widmung: »Der heimgegangenen grossen Malerin zum Andenken.«

Das Bild ist ein Selbstportrait der Malerin, das 1910 entstanden ist.

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