Montag, 22. Januar 2018

Else Lasker Schüler: Urfrühling / Paul Leppin über die Dichterin

Else Lasker Schüler an Franz Marc 1913: Die Stadt Theben ist entzückt von der Gemse und ich der Kaiser im höchsten Maße gerührt. Zahm wird mein Selbstbild. Was soll ich zu all den bunten Geschenken sagen, Ihr teuren Brüder.


Urfrühling

Sie trug eine Schlange als Gürtel
Und Paradiesesäpfel auf dem Hut,
Und meine wilde Sehnsucht
Raste weiter in ihrem Blut.

Und das Ursonnenbangen,
Das Schwermüt'ge der Glut
Und die Blässe meiner Wangen
Standen auch ihr so gut.

Das war ein Spiel der Geschicke
Ein's ihrer Rätseldinge . . .
Wir senkten zitternd die Blicke
In die Märchen unserer Ringe.

Ich vergass meines Blutes Eva
Ueber all' diesen Seelenklippen,
Und es brannte das Rot ihres Mundes,
Als hätte ich Knabenlippen.

Und das Abendröten glühte
Sich schlängelnd am Himmelssaume,
Und vom Erkenntnisbaume
Lächelte spottgut die Blüte.


Paul Leppin: Die Lasker-Schüler

Keine von den Frauen, die ich kenne, ist so meilenweit von aller Literatur entfernt, so unbedingt in ihre Gesichte versponnen, mit Riten, Symbolen, Liebhabereien gesegnet, wie Else Lasker-Schüler. Sie ist die Verkünderin, die inbrünstige Ausdeuterin in einer kaum vorstellbaren Weise. Sie hat eine legendenhafte Art, mit den Herrlichkeiten der Schöpfung zu kosen, sie andächtig zu betrachten, mit den Fingern an sie zu rühren. Die lichtgesprenkelte Pfauenschleppe des Kometen, der blühende Mond, das Abendrot, dunkle Rubine funkeln in ihren Verszeilen. Sie hat Schicksal, Einsamkeit, brennendes Herzweh erlebt, dürftige Jahre, heischende Pflichten. Nichts, was mit ihr geschehen konnte, war angetan, die drängende Fülle ihrer Berufung zu zerstören. Sie ist wie die Bäume, von denen sie erzählt, daß sie im Erdboden haften, wo die Erwartung des Himmels sie festhält. Der Baum, die Pflanze, die Blume haben keine Weltanschauung. Aber die Welt kommt zu ihnen, sie lassen sich feierlich von der Welt anblicken und wachsen in ihre Träume. So geschieht es der Dichterin. Sie ist mit der Welt vertraut, ist mit ihr zusammen zur Schule gegangen und Gottes monumentaler Schrank beliefert sie mit Paradestücken. Wenn sie von ihrer Kindheit berichtet, dem sauren Kirschbaum im Garten des Vaterhauses, den Schaumkrautwiesen und versunkenen Wäldern ihrer Sonntagsausflüge im Wuppertale, von der Knopfsammlung, die sie in ebenmäßiger Reihe als bunte Strophe auf dem Tische ordnete, kommen Geheimnisse zutage, schüchterne Anmerkungen und Bekenntnisse. Da war ein Knopf, der war der schönste von allen, der durfte überall liegen, wo er wollte. »Er war aus Jett, besät mit goldenen Sternlein, und ich staunte ihn an. Er war das Himmelreich meiner Knöpfe und hieß: Josef von Ägypten. So oft neckt man mich mit einem Ausdruck, der sich immer wiederhole in meinen Gedichten. Es ist wahrscheinlich der sternbesäete Knopf.«

Der Hang zu Tand und schimmernden Nichtigkeiten, farbigen Schnüren, Perlen und koboldartigen Dingen ist ihr geblieben. Er ist wohl in der spanischen Blutmischung begründet, die ihr »liebmütterlicherseits« zuteil ward. Als ich sie kennenlernte, als junger Mensch, der neugierig im Wellenschlag des Berliner Literaturlebens stöberte, war sie mein stärkster Eindruck. Sie war anders als der Betrieb, der sie mitriß, unnachgiebig und sonderbar. Sie war vor Zugeständnissen gefeit, die ihr an den Leib rückten. Sie hatte Geschenke und Auszeichnungen zur Hand, mit denen sie Auserwählte beglückte: Glassteine aus einer vertrackten Schatulle, die sie stolz und verheißungsvoll auskramte, Ordenszeichen und Titel, mit denen sie Freunde dekorierte. Snobismus und journalistische Halbheit haben sie nie erreicht. Sie war immer vom Geiste besessen, der in ewigen Räumen schweifte, ein unzerbrechliches Gefäß der Offenbarung in einer von stumpfer Begier zerbröckelten Gegenwart. In den Kaffeehäusern ihres Bezirkes saßen die Aristokraten, die ihre Gnade ernannt hatte, ihre Zuneigung salbte. In allen Städten Europas hatte sie Statthalter ihrer Freundschaft. In der Nacht ihrer Not erhob sie sich selbst zum Prinzen von Theben. Es ist naheliegend, über ein Zeremoniell zu spotten, das Embleme und fremdartige Anschriften ersann, mit Siegel und Halbmond ihre Dekrete fertigte. Aber die unerschütterliche Haltung dieser Frau, ihr allezeit beglaubigtes Dichtertum, der Glanz des »Gottostens«, der ihren Sprüchen vorausgeht, die Gerechtigkeit und der Sinn ihres reinen Herzens strafen die nüchterne Skepsis Lügen. Die Staatsgalerie hat vor einigen Jahren ihre bizarren Zeichnungen angekauft, gekrönte Köpfe, paradiesische Fahrten ins Flitterland ihrer Gedanken, Mondsicheln und Heiligkeiten. Es sind vom Wege verirrte Szenen, vergittertes Temperament, Schwüre und Verzückungen, die so stark auf sie einströmten, daß die Umfriedung ihrer Verse nicht ausreichte, daß sie Tuschfeder und Goldlack zu Hilfe nehmen mußte, um sie zu bannen.

Nun ist nach langer Frist eines durch Ungunst erzwungenen Verstummens ihr neues Buch erschienen. Es nennt sich »Konzert« (Rowohlt-Verlag in Berlin) und bringt die gläubig gebündelte Ausbeute von Jahreszeiten und Jahren, die über verklärten Landschaften, gedämpften Erinnerungen stehn. In dieser Folge von Bildern, Gedächtnistagen und Schwärmereien begegnen wir immer wieder dem Angesichte Gottes, wie sie es glühend erlebt, dem Erzengelzauber ihrer Vision, der Bundeslade überirdischer Süchte. St. Peter Hille, der prophetische Apostel, ihr Gottkamerad, wie sie ihn erschauernd anspricht, hat wieder ein ehrfürchtiges Denkmal bekommen. Dieser »abstrakteste Mensch, der zurzeit auf Erden wandelte«, muß ihr wohl irgendwie geglichen haben. Auch sein, des heimlichen Papstes Vatikan, war nicht von dieser Welt. Seine biblische Jüngerin, die er in zärtlich gesinntem Spiel vormalig »Tino«, das Mädchen mit den Knabenaugen nannte, ist gleich ihm der Sentimentalität verfremdet. Und sie verfällt ihr auch nicht, wenn sie in schlichter Verhaltenheit von einem Verstorbenen redet, ihrem süß-schönen Sohne Paul, der als Maler ihre Talente erbte, der nicht nur ihr Kind, der auch ihr kleiner Bruder gewesen war und dem sie ihr Buch in Liebe zueigen gibt. Das »Konzert« der Else Lasker-Schüler ist die Musik der Mythe. Tote und Abtrünnige schlagen die Lider auf, Heerscharen, Gebete und Tierseelen sind darin verzaubert. Es ist Prosa, die tief und einfältig leuchtet und es wundert uns gar nicht, wenn zwischen den Blättern dieser Erzählungen, wie Gold im Gestein, der Rhythmus eines Gedichtes verstreut ist. Versöhnung, edelgewordener Alltag sind holdselig aufgetan. Kummer öffnet den strahlenden Kelch und duftet:

Es ist so dunkel heut,
Man kann kaum in den Abend sehen.
Ein Lichtchen loht,
Verspieltes Himmelchen spielt Abendrot
Und weigert sich in seine Seligkeit zu gehen.
– So alt wird jedes Jahr die Zeit –
Und die vorangegangene verwandelte der Tod.
* * *

Aus: Prager Presse. Jg. 12, Nr. 201 vom 24. Juli 1932. S. 9 (»Kulturchronik«).

Else Lasker-Schüler, geboren am 11. Februar 1869 in Elberfeld; gestorben am 22. Januar 1945 in Jerusalem)

Paul Leppin (1878–1945), Schriftsteller in Prag. Seinen einzigen überregionalen Erfolg erzielte er mit dem 1905 erschienenen Roman »Daniel Jesus«, den Else Lasker-Schüler 1908 in der Zeitschrift »Das Magazin« (Jg. 77, H. 4 vom Januar 1908. S. 65) besprach. Sie hatte Leppin im März 1907 bei einer Lesung im Berliner »Salon Cassirer« kennengelernt und ihn im April 1913 während einer Vortragsreise in Prag besucht. Sie nannte ihn nach seiner Romanfigur »Daniel Jesus« oder auch »Daniel Jesus Paul«. Leppin selbst war auf Else Lasker-Schüler durch ihr »Peter Hille-Buch« (1906) aufmerksam geworden, das er 1909 in der Zeitschrift »Deutsche Arbeit« (Prag) rezensierte (Jg. 8, H. 6 vom März 1909).

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