Montag, 8. April 2019

Alfred Mombert: Alles ist hier. . .



Den Dichter seh' ich wandeln in der Mondnacht,
und hör' ihn flüstern unter den hohen Bäumen -
so süß! so süß!

Denn das ist Alles Dichtung,
womit ein Mensch sich seine Schmerzen lindert.


Alles ist hier.
Hier sind Berge, sind ziehende Wolken.
Viele Seen, weite Frucht-Ebenen.

Alles ist hier.
Wälder, Wald-Wiesen, liebliche Weiden.
Thäler voll Vogelsang.

Und hier steht mein Zelt:
Bei einem klaren Brunnen
rein erbaut aus Element:
Aus Äther, Meer, aus Licht;
aus Geist des Menschen.
Da wehen die Winde.
Veilchen und Tulpen beblühen seinen Strand.

Drinnen sitze ich nachts.
Dann ruht die Mond-Sichel
silbernfromm auf meiner Schulter.
Bei mir sitzt die himmlische Tänzerin.
Vollendet ist die Zeit in meinem Herzen.
Draußen ist der Gesang aller Sänger der Welt.


Aus: Alfred Mombert, „Der himmlische Zecher“, Insel Verlag, Leipzig, 1922

Alfred Mombert, geboren am 6. Februar 1872 in Karlsruhe; gestorben am 8. April 1942 in Winterthur. 1934 wurden seine Werke von den Nationalsozialisten in Deutschland verboten. Im Oktober 1940 wurde er in das Lager Camp de Gurs in Südfrankreich deportiert, wo er bis April 1941 interniert war. Im Oktober 1941 durfte er  in die Schweiz ausreisen, wo er am 8. April 1942 in Winterthur an den Folgen des Lageraufenthalts verstarb.

 Das Bild ist von der 2017 verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch

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