Donnerstag, 4. April 2019

Sophie Hoechstetter, aus: Lieder an Liane



Lieder an Liane

I.

Ich wollte einmal dich in meiner Heimat grüßen,
Ich wollte einmal, daß zu deinen Füßen
Die Wege ziehen, die mir lang vertraut.
Ich wollte, daß mein stilles Land dir brächte
Sein tiefes Sehnen, seine hellen Nächte
Und du es sähest, wie ich es geschaut.

Ich wollte einmal deine Lippen küssen —
Ich wollte einmal deine lieben süßen
Geliebten Augen auf mir ruhen sehn —
Ich wollte einmal — einmal nur dir sagen
Wie lang dein Bild im Herzen ich getragen
Und wie es ruht dort bis zum Untergehn.

Dann aber? Oh ich weiß nicht, was noch wäre
Still ruht die Sehnsucht — ankersstill im Meere
Fragst du den Beter, was er noch begehrt
Wenn ihm sein Gott die Seligkeit gewährt?
Fragst du den Schiffer, der den Hafen sieht,
Ob noch ein Wunsch durch seine Seele zieht?

Ich wollte einmal deine Lippen küssen,
Ich wollte dich in meinem Hause grüßen —
Einmal mit dir allein sein — fern vom Leben.
Ich wollte einmal dir in erstem Schweigen
Die Heimat und mich selbst ganz dir zu eigen
Bedingungslos in deine Hände geben.

IV.

In unserm Garten liegt ein Feuerschein,
Des letzten Herbstes flammendes Verglühn.
Die stille, weiche Luft ist klar und rein,
Wir sehen rote Wolken südwärts ziehn.

Im Winde tausend goldne Blätter schwanken
Ein letzter Gruß der Liebe, die vergeht.
Die späte Rose blüht; doch müde sanken
Schon manche Kelche auf das Gartenbeet.

Die Mauer ist umstrickt von Scharlachwein,
Mit Liebesarmen nimmt er sie gefangen,
Und selbst der alte, harte, kühle Stein
Erstrahlt in rotem, brennendem Verlangen.

Ein Glühen rings, ein sonnenrotes Sterben.
Ein Sterben, seliger und schöner noch
Als blassen Frühlingslichtes stilles Werben
Das einst auch über dies Gelände zog.

Du lächelst schmerzlich. Weil die Liebe flieht
Von dieser armen, stillen Gartenerde?
Du lächelst schmerzlich, weil der Herbst uns glüht
Und weil er kommt mit strahlender Geberde?

Sieh doch: was hier vergeht, uns bleibt es immer,
Uns grüßt der Herbst, uns grüßt er wunderzart,
Weil unserer Herzen roter Liebesschimmer
Für eine traumeskurze Zeit ihm ward.

Wir können froh und lächelnd von ihm scheiden,
Ein sterblich Abbild ist, was hier vergeht
Von dem Unsterblichen, dem, was uns beiden
Als unvergänglich vor der Seele steht.

Bis auf der alten, lieberoten Erde
Das letzte, leise Wort uns klingt,
Bis zu uns als geleitender Gefährte,
Der letzte Erdenton noch dringt.

Bis wir den letzten Blick noch tauschen,
Wenn einst der Tag uns letzten Abschied bringt —
Und wenn im fernen Windesrauschen
Das Herz im All versinkt.

Aus: Vielleicht auch Träumen, Verse von Sophie Hoechstetter

München und Leipzig Bei Georg Müller 1906

Sophie Hoechstetter, geboren am 15. August 1873 in Pappenheim, gestorben am 4. April 1943 in der Moosschwaige bei Dachau war Schriftstellerin, Dichterin und Malerin.

„Liebe, Arbeit und soziales Engagement durch Schreiben sind die zentralen Themen der Werke Sophie Höchstetters. Liebe, die durch Schranken des Standes (Die Verstoßenen), der Religionszugehörigkeit (Max Mühlen) und durch Sitten (Das Krongut) begrenzt wird - oder auch erfüllte Liebe, die bis zur Selbstaufgabe führt. . . . Dargestellt wird, wie die Ehe als Institution die Liebe der einzelnen überformt und dem Mann das Recht des Herrschers gibt. In Sehnsucht, Schönheit, Dämmerung (1898/1909)“

Madeleine Marti (FemBio. Frauen.Biographieforschung)

Das Foto ist von einem unbekannte Fotografen aus: Timon Schroeter: Für unser Heim, Bunte Spenden Deutscher Dichter und Denker der Gegenwart,

J. J. Weber, Leipzig 1902,

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