Dienstag, 2. April 2019

Alice Berend: Kleine Ballade / Der Backfisch

Lovis Corinth (1858 - 1935) Portait Alice Berend



Kleine Ballade

Sie wohnte vier Treppen,
Er unten im Keller,
Und beide hatten sie keinen Heller.

Wohl litten sie nicht Hunger und Not,
Doch was sie verdienten mit ehrlichem Sinn,
Das reichte so gerade zum Leben hin.

Jung waren sie beide und lebensfroh,
Machten sich weiter keine Sorgen.
Kam heute das Glück nicht, kam's wohl morgen.

Kehrten arbeitsmüd' sie am Abend heim,
So schauten beide zum Fenster hinaus
Und sahen nach dem Glücke aus.

Aus dem Dache sah sie,
Aus dem Keller sah er,
Und mancher Seufzer flog hin und her.

An einem heissen Maientag
Sprach er sie schüchtern drunten an,
Als sie die Treppen zu steigen begann.

»Da oben ist's wohl jetzt schön heiss?«
»Ja,« lacht sie, »ja, der Sonnenschein
Heizt etwas stark mein Zimmerlein.«

»Und zu mir kommt gar keine Sonne herein.«
»Nun,« meint sie mit einem fröhlichen Nicken,
»Ich werd' etwas Sonne hinunterschicken.«

»Dürfte ich sie nicht holen kommen?«
»Nein, i bewahre!« Und im Lauf
Rennt sie die vier Treppen hinauf. – – –

Doch seltsame Dinge geschehen im Mai,
Am selben Abend, der Mond schien herein,
Holte er noch seinen Sonnenschein. 



Aus: Die zehnte Muse, Dichtungen vom Brettl und fürs Brettl, herausgegeben von Maximilian Bern, Verlag Otto Eisner, Berlin, 12. Tsd. 1904 

 

Alice Berend, geboren am 30. Juni 1875 in Berlin; gestorben am 2. April 1938 in Florenz war eine erfolgreiche Romanschriftstellerin. Seit etwa 1910 schrieb sie eine Reihe von humoristischen bis realistischen Romanen und Kinderbüchern, die ihr den Ruf einer „kleinen Fontane“ einbrachten. Im Jahr 1933 wurden ihre Werke von den Nationalsozialisten auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt. Im Jahr 1935 emigrierte sie nach Florenz. Dort starb sie am 2. April 1938 verarmt und als Schriftstellerin vergessen. 

 

Ihr bekanntestes Gedicht (sie schrieb vereinzelt Werke für´s Kabarett) ist wohl das Werk "Der Backfisch". Selbst heute noch lesenswert, denn wer eine pubertierende junge Frau im Hause hat, erkennt darin sicher einiges wieder. . .




Der Backfisch.

Kichernd
Und wispernd,
Geheimnisse flüsternd,
Vor Lachen erstickend,

Verlegen sich drückend,
Vor Neugierde zitternd,
Unpassendes witternd,
In Liebesgram härmend,
Für Lehrer schwärmend,

Immer schleckend und naschend, –
Mit Notentaschen,
Mit langem Zopf
Am zappligen Kopf,
Bestrebt, zu probieren

Das Kokettieren,
Ganz ohne Sorgen
Für heut oder morgen
Und zehnmal klüger als Mama,
Schwupp – so steht der Backfisch da.


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