Eine Näherin dichtet
Ich bin nicht arm, ich hab´ ein kleines Zimmer.
Ein Geranientopf blüht unter der Gardine.
Am weißen Fensterbrett, im Sonnenflimmer
steht die bald abbezahlte, neue Nähmaschine.
Ich bin nicht schön, mein Spiegel sagt es täglich;
zeigt mir kein jugendfrisches Angesicht.
Doch ist mein Ruf, ich sei recht still, verträglich,
und tät´ als Näherin stets meine Pflicht.
Ich bin nicht jung, ich habe nie geblüht.
Die Jugend liegt in weiter, weiter Ferne.
Es hat sich niemand recht um mich gemüht -
nur Kinder haben mich zuweilen etwas gerne.
Einmal kam er, ein entfernt Verwandter,
ein blonder, niedriger Unterbeamter.
Der war wie alle Männer sind,
und ließ mich sitzen - ohne Kind.
Das war ein Schmerz, oh, dass er ging,
sich nicht in meinem Netz verfing.
Hätt´ ich ein Kind von ihm besessen,
wie leicht könnt´ ich ihn dann vergessen.
Es hat sich niemand um mein Wohl gebangt.
Ich bin von allen eigentlich gemieden.
Es gibt keinen, der nach mir verlangt.
Ich bin nur einsam - sonst bin ich zufrieden.
Grete Edsen, aus der Zeitschrift UHU, Band 7, 8. Mai 1930. Über die Dichterin habe ich leider nichts herausfinden können.
Das Foto zeigt eine Näherin um 1930
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