Samstag, 22. Januar 2022

Alfred Wolfenstein: Gebannt

 



Gebannt


Du Unbekannte, die ich zwischen den Tänzen traf,
Nun lehnen wir an Säulen. . . unsre Augen tanzen nun,
Und doch umschleiert uns ein Schlaf,
Ein zähes Ruhn.

O daß wir schweigen müssen wie zwei Tiere, du!
Wir schütteln unsre Herzen, wir begreifens nicht,
Was sieht uns so gewaltig zu,
Daß keiner spricht?

O nicht die Kleider nur und Säle, die uns dick
Umstelln, und leidenschaftlich Nackte! Nicht der Wust
Der Leute, die mit schwarzem Blick
Die Freude rußt:

An unsichtbare Grenzen auch stoßen wir,
In feindlich lachenden Tänzen gehen und zischen grell
Gespenster zwischen dir und mir:
Seid nicht so schnell. . .

Doch unser Herz: . . . Ihr lebt auf Erden, schnell zu sein!
So tanzt ihr schön. . . und schwingt hoch über des Todes Wand!
Und da im Abschied faßt sich ein
Mal unsre Hand.

Aus: Alfred Wolfenstein Werke, Erster Band: Gedichte, Herausgegeben von Günter Holtz; v. Hase & Koehler Verlag Mainz 1982

Alfred Wolfenstein, geboren am 28. Dezember 1883 in Halle (Saale); gestorben am 22. Januar 1945 in Paris, war Lyriker, Dramatiker und Übersetzer.

1922 erschien im E. Reiss – Verlag, Berlin, sein umfangreicher Essay „Jüdisches Wesen und neue Dichtung“. Er war dem Andenken Gustav Landauers gewidmet, der 1919 in München von gegenrevolutionären deutschen Soldaten im Gefängnis ermordet worden war. In dem Essay stehen die Sätze: „Der Dichter ist der unter die Völker Verstreute; aus tieferem Grunde kommend und in höherem Sinne ortlos; der Verbannte. Er ist, heute zumal, der ungewiß Wohnende unter Fremden, – denen er sich doch glühend zugehörig fühlt. […] Ähnlich ergeht es dem Juden.“

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrierte Wolfenstein im März 1933 wie viele andere deutsche politisch und religiös Verfolgte zunächst nach Prag. Zwei Jahre später flüchtete er nach Paris.In den Jahren im französischen Untergrund hatte sich Wolfensteins Herzerkrankung verschlechtert. Zunehmend körperlich beeinträchtigt und depressiv, nahm sich Wolfenstein am 22. Januar 1945 in einem Pariser Krankenhaus das Leben.

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