Sonntag, 23. Januar 2022

Ernst Blass: Abendstimmung; Jakob van Hoddis: He!

 



Hierzu sei bemerkt, dass sich Ernst Blass und Kurt Hiller auf der einen Seite und Jakob van Hoddis auf der anderen furchtbar zerstritten hatten, was dazu führte, das letzterer nicht mit im „Kondor“ vertreten war, der ersten Anthologie expressionistischer Lyrik, die Kurt Hiller 1912 herausgab, aus der das Gedicht Abendstimmung stammt. Unübersehbar ist es, dass in der Parodie aus seiner stillen Klause ein blasser (sic!) Oberlehrer steigt.

Doch nicht nur Jakob van Hoddis sondern auch ein anderer Dichterkollege macht sich kritisch über diese und andere Verse her:

 „Was er (Ferdinand Hardekopf) im „Kondor“ und im „Ballhaus“ als Lyrik absondert, ist durchaus Journalismus, und leider zumeist gepflegter Snobismus, zumal die drei Kondor-Beiträge. Wie heftig hingegen seine Art auf die „Rigorosen“ gewirkt hat, dafür ein paar Beispiele:

 „Ein Prunksalon, wie eine Schiffskajüte. / Man sitzt in Club-Fauteuils bei Sekt und drinks. / Die schmalsten Mädchen tragen Riesenhüte / und lächeln sanft wie Mädchen Maeterlincks“. (Ferdinand Hardekopf im „Ballhaus“)

 O komm! o komm, Geliebte! In der Bar / Verrät der Mixer den geheimsten Tip. / Und überirdisch, himmlisch steht dein Haar / Zur Rötlichkeit des Cherry- Brandy- Flip.“(Ernst Blass)

 „Deine Fliederweste, / du fahler Maler, küsst mich sehr, Bohème-Girl, / dein Shawl glänzt ganz zitronen, du, System-Earl, / trägst statt des Schlips zerwalkte Himbeerreste“ (Kurt Hiller)

 

„Glühgrün lampjongt  es in den Baumbeständen / zierratsbehuf und ölgemut herum“ usw. (Arthur Kronfeld)

 

. . .  So sind sie, die Rigorosen.   . . .  „Was alle diese treiben ist nicht Kitsch, sondern immerhin schlechte Kunst“, erklärt Kurt Hiller (einleitend) und meint damit Stefan George, die Naturalisten und die Heimatkünstler. Was die Kondoristen treiben ist hingegen nicht nur „immerhin schlechte Kunst“, sondern auch Kitsch, weil ihre Augen keine guten Bilder, sondern schlechte Oeldrucke schauen, und weil sie sich einbilden, Kunst sei die plumpe, unverarbeitete Beschreibung roher Sinneseindrücke mit angehängter Pointe und einem dicken Knalleffekt.

 . . . 

Wenn es wahr wäre, was Hiller (einleitend) behauptet, dass im Kondor eine „Dichter-Sezession“ sich manifestiere, und das soll wohl heißen, eine Auswahl der auffindbar Besten, dann ständen wir dem blanken Bankrott deutscher Lyrik gegenüber. Wir wollen nicht aufhören, auf besseren Nachwuchs zu hoffen, der ohne die Protektion einer westlichen Berliner Cafehaus-Clique seinen Weg und seine Höhe findet."

Erich Mühsam in seiner Zeitschrift „Kain“, Jahrgang II, Nr. 5, August 1912; ein Auszug aus dem Artikel „Die Rigorosen“.

 „Mühsam schaut auf die Mitteilung dieser Verse und nimmt das Atmosphärische  an ihnen nicht wahr. Die Lebenswildheit, die sich als modischer Chic irgendwo zwischen Aufbruchspathos und Selbstzerstörungsdrang austobt, ist zwar auch sein Element, aber sie ja nur Ausdruck der trotzigen Opposition gegen das Philistertum, niemals unbekümmerter Selbstzweck.“, schreibt Chris Hirte in seiner Erich-Mühsam-Biographie dazu (Ahriman-Verlag 2009)

Der am 17. Oktober 1890 in Berlin geborene Ernst Blass erlangte mit seinem Gedichtband „Die Straßen komme ich entlang geweht“ von 1912 eine ähnlich große Berühmtheit unter den Expressionisten wie Jakob van Hoddis mit seinem Gedicht „Weltende“. Beide konnten das nach dem ersten Weltkrieg nicht aufrecht erhalten und gerieten in Vergessenheit.

Tragisch das Ende aller drei oben genannten Protagonisten: Ernst Blass  -  1926 begann sein tuberkulöses Augenleiden, das im Laufe der Jahre zu fast vollständiger Erblindung führte. Mit Beginn des Dritten Reiches wurden seine Arbeits- und Publikationsmöglichkeiten immer eingeschränkter. Schließlich verstarb er 1939 verarmt in einem jüdischen Krankenhaus an den Folgen einer lange unerkannt gebliebenen Lungentuberkulose.

Jakob van Hoddis  -  Am 29. September 1933 wurde van Hoddis in die „Israelitischen Heil- und Pflegeanstalten“ Bendorf-Sayn bei Koblenz verlegt. In dieser Anstalt wurden ab 1940 der größte Teil von jüdischen psychiatrischen Patienten im deutschen Reich konzentriert. Am 30. April 1942 wurde er von dort in den Distrikt Lublin im von der Wehrmacht besetzten Polen deportiert und – höchstwahrscheinlich im Vernichtungslager Sobibór – im Mai oder Juni desselben Jahres im Alter von 55 Jahren ermordet.

Erich Mühsam  -  In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde er von Nationalsozialisten verhaftet, und am 10. Juli 1934 wurde er von der SS-Wachmannschaft des KZ Oranienburg ermordet. 

Das Bild ist von Giovanni Boldini (1842  -  1931)


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