Samstag, 22. Januar 2022

Alfred Wolfenstein: Abschied

 



Abschied

Die sonderbarste meiner Trennungen. . .
Wir hatten und immer nur fremd geliebt,
Nur das von uns in uns gesiebt,

Was nackten Stoff gab unsern Brennungen.

Und küßte meine Brust an deinen zwein,
Dein Mund an meinem von Gelüst und Geiste doppelten -:
Die Scham, daß sie so unseins sich verkoppelten,
War schwächer als die Lust, sich nichts zu sein.

Ach. . . Liebe. . ., dachten wir, umarmt. . . und hinter Mauern,
Verworrner Wunsch, sich füreinander hinzutöten,
Der guten Grenzen plumpe Überschreiterin!

Und nun, als hätten wir uns doch betreten,
Als sei Genuß auch tief,. . . erfaßt uns Trauern
. . . Wär nicht der Zug da, dehnten wirs vielleicht noch
ewig weiter hin. . .

Aus: Alfred Wolfenstein Werke, Erster Band: Gedichte, Herausgegeben von Günter Holtz
v. Hase & Koehler Verlag Mainz 1982

Das Bild ist von Karl Tratt (1903 – 1937)

Alfred Wolfenstein, geboren am 28. Dezember 1883 in Halle (Saale); gestorben am 22. Januar 1945 in Paris, war Lyriker, Dramatiker und Übersetzer.

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