Wandlung
Von dem, was uns in jungen Jahren band,
An Wunsch und Wert in menschlichem Gestalten,
Wie wenig hielt den tötlichen Gewalten
Im letzten Prüfen unsrer Seele stand:
Wie vieles, was wir früher kaum gesehn,
Ist heute nah mit ungeheurem Wirken:
Wir nähern uns den heiligen Bezirken,
Vor denen scheu wir nun in Ehrfurcht stehn.
Wie Gold und edle Steine sich im Sand
Verborgen halten, bis der Sand verweht,
Und ihr Gewicht allein im Sturm besteht,
So hebt sich nun aus allem lauten Tand
Das Unvergängliche. Das Ich wird still,
Wenn Es in ihm schon leise beten will.
Dem Ende zu
Die Stimmen, die von aussen uns erreichen,
Sind schrill und heiser. Geiferndes Erschrecken
Verrät der Hinkende. Die andern recken
Mit hohlem Schrei die toten Siegeszeichen.
Das Ende wittern selbst erprobte Toren.
Doch kann der Krieg nicht enden dieses Mal,
Bis kein Gefreiter mehr, kein General
Behaupten darf, er wäre nicht verloren...
Was half es, dass der wägende Verstand
Die Rechnung führte bis zum letzten Schluss.
Der Wahn begreift nur, was er fühlen muss!
Der Wahn allein war Herr in diesem Land.
In Leichenfeldern schliesst sein stolzer Lauf
Und Elend, unermessbar, steigt herauf.
Zeit
Ich träume viel bei Nacht und viel bei Tag.
Die Zeit ist ohne Wert. Ich kann vergessen,
Der Stunde wie der Woche Gang zu messen,
Wenn ich mich nicht auf sie besinnen mag.
Doch wittern auch die Träume wohl die Zeit —
Erwach ich dann vom Dienstgeklirr der Schlüssel,
Vom Mittagsruf nach meiner Suppenschüssel,
Und raffe mich, zum Täglichen bereit:
Dann weiss ich, aus dem Träumen aufgestört,
Wie einer fühlt in seinen letzten Stunden,
Der, an ein ruderloses Boot gebunden,
Den Fall des Niagara tosen hört.
Die Wasser schlagen an des Bootes Rand.
Sie strömen rasch. Gebunden — ist die Hand.
Albrecht Haushofer, geboren am 7. Januar 1903 in München; wurde am 23. April 1945 in Berlin von der SS ermordet. Er war Geograph, Diplomat und Schriftsteller, und trotz inneren Missbehagens stieg er im Auswärtigen Amt auf, wurde aber später geschasst.
Sein Bruder Heinz Haushofer fand in der Manteltasche des Toten mehrere beschriebene Blatt Papier mit 80 Sonetten, Diese wurden 1946 unter dem Titel „Moabiter Sonette“ veröffentlicht.
Albrecht Haushofer war einer, der sein Gewissen erst spät entdeckte. Aber er ist dem Ruf dieser Stimme schließlich gefolgt. Bis in den Tod:
„Ich klage mich in meinem Herzen an: / Ich habe mein Gewissen lang betrogen, / ich hab mich selbst und andere belogen – / ich kannte früh des Jammers ganze Bahn – / ich hab gewarnt – nicht hart genug und klar! / Und heute weiß ich, was ich schuldig war …“
Das Foto zeigt den Einband der Ausgabe der Moabiter Sonette von 1946.
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