Sonntag, 2. April 2023

Jakob Haringer: Erinnerung und andere Gedichte

 



„und die weiße Landschaft lag unberührt vor mir /
wie der Weg ins Paradies.“

Als der Dichter Jakob Haringer, geboren am 16. März 1898, am 3. April 1948 in Zürich an einem Herzinfarkt verstorben aufgefunden wurde, steckte in einer Schreibmaschine ein Stück Papier, auf dem diese beiden Zeilen standen.


Elegie

Einmal möcht ich wie ein Kind noch leben ,
Möchte rein sein, ach, und wahr und klein!
Das wär wohl ein schönstes größtes Leben,
Manchmal noch ein dummer Junge sein,
Ach, so wunschlos in die Wolken blicken,
Oder nachts zum lieben guten Mond. . .
Sich an einem Wanderlied entzücken,
Oder einem fremden duftend Blond.
Große unentdecke Inseln malen,
Oder Schlösser, die man dann sich kauft;
Ach, wie klein sind alle Erdenqualen,
Weil du froh der ganzen Welt vertraust!
O, du Jugend! Deine Morgenröte. . .
Kommst du noch mal in dies schwere Herz?
Sanft wie längst vergessne Zauberflöte -
Was zerbrach dich du mein Knabenherz?

Handschriftliches Manuskript um 1940


Märchen

Du warst mein Paradies. O bittres Leid!
Dies nun zu wissen, wo du leis gegangen.
Mit dir ist auch mein Stern dahingegangen,
Nun ist mein letztes Glück vorbei, verschneit.
Das Leben war bloß Traum. Nur du warst das
Erwachen. Und der ganze Mai bloß du!
Leb wohl, oh, du mein letztes Rendezvous,
Mein Herz brach wie ein altes Purpurglas,
Wie hat es deine Sonne einst durchschimmert. . .
Dies ist vorbei! Und nun ist Nacht um mich.
Die ganze Welt ist mir ein Sterbezimmer,
Die, als du da, dem blauen Sommer glich.
Nur deine Stimme klingt noch einmal fern. . .
Leb wohl! Mein lieber kleiner Abendstern!

Handschriftliches Manuskript um 1940


Ewige Liebe

Du warst nur immer auf Besuch -
Du warst nie ganz bei mir.
War alles bloß ein süßer Fluch,
Und alles bang und irr.
Dein Herz war nie zu Haus bei mir,
Die Liebe hielt nur Rast.
Mein Glück, mein Leben gab ich dir -
Es war dir bloß ein Gast.
So wie ein Glas, aus dem man trinkt,
Man wieder bald vergißt,
Wie eine Saite, die noch klingt,
Obwohl kein Lied mehr sprießt,
So wie ein halb gelesnes Buch -
Die Tür fiel längst schon zu.
Du kamst nur immer auf Besuch . . .
Du letztes Märchen, du!

Aus: Haringer Das Fenster
Pegasus Verlag Zürich 1946


Die Zecher

Zwei Gäste kamen spät abends,
Als schon ganz weiß mein Haar;
Der eine war wieder die Liebe,
Der andre die Trauer war.
Ich habe sie fürstlich empfangen,
Die Liebe und den Wahn,
Und kredenzt ihnen all meines Lebens
Ganze Schmerzen und Gram.
Und als wir bis morgens gezecht . . . da
Ward plötzlich die Träne zum Glück!
Was mach ich bloß mit so viel Liebe -
Was mach ich mit so viel Glück?

Aus: Haringer Das Fenster
Pegasus Verlag Zürich 1946


Erinnerung

Weiß du noch, mein totes Lieb . . . es war ein Abend im Mai,
Du schlossest den Laden, dein Prinzipal sagte dir gute Nacht,
Wir standen dann bang vor den Schauläden und
wünschten uns Geld wie Heu,
Du kauftest Wurst und Brot, und wir haben alle Welt ausgelacht,
Dann gingen wir zum Stadttor hinaus
in den blühenden Sterngarten,
Du holtest an der Schänke Bier und Zigaretten,
Du konntest nicht die junge Kellnerin erwarten,
Dein lieb's Kinderplaudern wollte mein Leid
in den schönen Abendhimmel betten.
Du träumtest von einem kleinen Bubi, der Marlitt, einem neuen Kleid
Plötzlich bemerktest du im grauen Strumpf ein winziges Loch.
Mein Herz verglühte zu silbern Bergfeuern
an deiner goldnen Mädchenzeit,
In meiner Seele armer Lampe flackerte sommerschwül
deiner Küsse Docht.
Ach, mein Lieb! nun zierst du wohl süß
das Abendrot einem andern,
Ich hatte ja keine Existenz, war so arm,
da ist's doch selbstverständlich, daß man ein Ende macht,
Aber ich werd's nie, nie vergessen,
unser süßes Abendwandern,
Deine heiße Liebe, deine gütigen Worte
in dieser einzigen himmlischen Nacht.

Aus: Die Dichtungen von Haringer
Gustav Kiepenheuer Verlag Potsdam 1926
(Kraus Reprint 1973)


Sonett an die Treue


Kind, ich hab schon Lieder auf deine Untreu geschrieben,
Und nun sitzen wir wieder so fröhlich beisammen,
Silbern glänzen uns wieder Gottes sternige Kammern,
Und der alte Mond will wieder sein altes schönes Knabenlied üben.
Orangne Bar, du grüner Trauerampeln blonder Sekt,
Blaues Kinderdonnern brauner Junigeigen -
O Lieb, heut nach Mitternacht wirst du dich so mutterlieb wieder neigen,
O du kleiner Vogel, der im dunkeln Gezweig meiner Seele
verjubelt und Gottes rote Veilchen neckt.
So laß uns einmal wieder Gott und die Welt vergessen,
Sieh, schon rauschen des letzten Sterbens Sommerzypressen,
Einmal laß uns noch dumme Kinder sein und glücklich weinen -
Wenn auch morgen für uns keine Sterne mehr scheinen.

Aus: Die Dichtungen von Haringer
Gustav Kiepenheuer Verlag Potsdam 1926
(Kraus Reprint 1973)


Lied am Abend für meine Geliebte


Was ist ein Frauenlächeln für seltsam Ding!
Und gibt es Worte für dunkle Zypressen?
Was ist die Sonne - ihr Glauben das Kind umfing,
Was ist ein Frauenweinen für seltsam Ding?
Hast Du die Lieder der Schwermut schon ganz vergessen?
Noch blühn die Flammen im Herzen und sternen das Land
Und suchendes Ringen wächst steilen Bergen vor . . .
O wilder Schein! löst Du die Runen im Sand - -
Soll ich sie klären? Der ich den Weg verlor . . .
Bald bin ich einsam schluchzend vorm goldnen Tor -
Vergessen harrend - wer läßt mich Toten ein?

Aus: Jakob Haringer Die Kammer
Regensburg Franz Ludwig Habbel 1921


René Schwachhofer schrieb 1947 in der verdienstvollen Auswahl vergessener, von den Faschisten verfemter Lyriker "Vom Schweigen befreit":

„Haringer hat einige der schönsten deutschen Gedichte geschrieben; sie könnten im Volksmund umgehen. Einst wird man fragen: Wer war ihr Verfasser?“

Alfred Döblin über Jakob Haringers Lyrik:

„Die Gedichte sind echtes Gewächs, keine lyrische Ware. Dreierlei gehört zur Kunst: einmal, daß einer etwas ist, – einmal, daß er zu sich gefunden hat, – einmal, daß er etwas kann. Das ist dreifache Gnade. Haringer schreibt, wie ihm zu Mut ist. Dabei wäre nichts. Aber er ist von Haus aus Lyriker und Könner. Und darum ist es alles. Selbst wenn die Gedichte zu einem Teil sich formal nicht schließen, als Einzelwesen schwer bestehen. Woran denke ich bei diesen Stücken? An Tübingen, Hölderlin, die Maler Spitzweg, an Richter, Blechen. Eine sehr deutsche Pflanze. Verschollener Typ eines vagierenden Poeten. Er schreibt von Kinos, Cafés, aber fühlt Rothenburg und Nürnberg…“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen