Sonntag, 30. April 2023

Lilli Recht: Mai

 



Mai

Man hat den alten Mantel putzen lassen,
Den Winterhut mit Stroh umsäumt,
Das Seidenkleid nochmal gewaschen
Nun schlendert man durch helle Gassen
(Die Hände in den leeren Taschen),
Sieht die Läden an - und träumt -

- Ja, der Frühling wird nun wieder kommen
Und es wird sogar der Flieder blühn,
Unser Herz (stark mitgenommen)
Wird vielleicht noch leicht erglühn.
Und man wird in einem Garten
Eine Zeitlang auf ein Wunder warten -

- Doch eh´ Wunder reifen wird es kühl,
Eh´ man glücklich sein kann wird man still
Und so geht man, wenn es Abend wird,
(Scheu vorbei an Plakaten,
Die der Fremde Schönheit bunt verraten)
Einen Weg, der nach der Vorstadt führt.

Lilli Recht, aus: Ziellose Wege, Druck von Heinrich Mercy Sohn, Prag 1936

Lilli Recht wurde am 17. Februar 1900 in Hodolany / Hodolein bei Olomouc / Olmütz geboren.1938 emigrierte sie gemeinsam mit ihrer Schwester nach Italien 1926 zog sie nach Prag, wo sie ihre Gedichte und Texte im Prager Tagblatt veröffentlichte. 1936 erschien ihr einziger Gedichtband Ziellose Wege. Lilli floh gemeinsam mit ihrer Schwester vor der nationalsozialistischen Besetzung nach Italien, 1941 wurde sie interniert. Nach ihrer Freilassung 1944 lebte sie in Neapel und später in Potenza. Weitere Lebensdaten sind nicht bekannt.

Das Bild ist von Hans Baluschek (1875 - 1935)

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