Freitag, 14. April 2023

Sophie van Leer, Wilhelm Runge: Lieder

 



In meinem Blut
tanzt
Du

Säule
trägst Du mich
Wellen schlägst Du um mich her
Mantel aus Meer

Nacht singt Du
Traum träumt Du
Sinn sinnt Du
Fern
Du

Sophie van Leer, aus: Lieder, Der Sturm, Nummer 2, 15. Mai 1916


Nicht mehr wandern darf ich durch dein Antlitz
plötzlich falle ich in deiner Augen
tiefe Schlucht
alle Berge schlagen über mir zusammen
mit den Wellen deines Haars
wirf des Lachens Rettungsring
ganz dünn
ist meine Stimme
und wird zerreißen
meinen Wurzeln schließt die Hand dein Felsen
und des Auges Rose liegt gebrochen
du bist blauer Himmel
ich die Wolke
die sich fest an deinen Nacken klammert
sich nicht halten kann
und tausendfingrig
regenschreckt erdhin
den Wiesengrund
und dort hinsinkt himmellosgelöst auf ihr weiches Knie

Wilhelm Runge, aus: Lieder, Der Sturm, Nummer 21 - 22, 1 Februar 1916


In meine Schultern hülle ich Dich
und trage Dich zu mir

Ich wiege Dich im Kahne meines Bluts
und pflanze hoch die Wälder meiner Glieder
um Dich
ich bette Dich
in das rausche Gestrüpp meiner Locken

Sophie van Leer, aus: Lieder, Der Sturm, Nummer 2, 15. Mai 1916


Garnicht aufstehn mögen meine Augen
denn der Weg, den sie einst gingen
steht jetzt voller Widersprüche
Haben sie sich kaum erhoben
schlägt sie schon ein neu Geschehen
wie mit Ruten nieder.
Darum weichen sie hin nach der Heimat
allen fremden Worten aus
werden tief wie je ein Brunnen
und Erinnerung zerreißt den Spiegel
Tage tauchen auf
ganz maidurchdrungen
Primeln läuten durch das Wiesengrün
und das Flattern bunter Pfauenaugen
Blumen finden nicht mehr ihren Duft
ganz versunken in dem Rausch der Farben
Zweige zwitschern
grünhin summt das Gras
eine Spinne spinnt feinwunderwas
und die Bäume
schäkern mit den Tauben.

Wilhelm Runge, aus: Lieder, Der Sturm, Nummer 21 - 22, 1 Februar 1916


Wunde mich nicht
wende Dich nicht
weile
wölbe Dein Lauschen

Bieg Deine Glieder
beuge Dein Lächeln

Neige die Wange
in meinen Schoß

lausch meiner Sehnsucht
Rausche Rausche

Sophie van Leer, aus: Lieder, Der Sturm, Nummer 2, 15. Mai 1916

Sophie van Leer, geboren am 3. Februar 1892 in Amsterdam; gestorben am 3. Juni 1953 ebenda, Lyrikerin, 1915 ging sie dann nach Berlin, wo sie sich der Gruppe um Herwarth Walden anschloss. In deren Zeitschrift Der Sturm erschienen in den folgenden Jahren zahlreiche Lyrik- und Prosabeiträge van Leers. 1915 lernte sie bei einer Ausstellung den Maler Georg Muche kennen, in den sie sich stürmisch verliebte und mit dem sie sich verlobte. Die Beziehung zerbrach 1918. Gleichzeitig bestand allerdings eine Beziehung zu dem jungen Dichter Wilhelm Runge, der als Soldat an der Westfront kämpfte, und mit dem sie einen ausgedehnten Briefwechsel führte, der 2011 publiziert wurde. Während der Novemberrevolution wurde Sophie van Leer in München verhaftet und zum Tode verurteilt, kam aber einen Tag später bereits frei. Einem während der Inhaftierung abgelegten Gelübde folgend konvertierte sie zum Katholizismus und nahm dabei die Vornamen Francisca Maria an. (Wiki)

Wilhelm Runge, geboren am 13.6.1894 Rützen/Schlesien, am 22.3.1918 bei Arras „gefallen“. In Schlesien aufgewachsen, ging Wilhelm Runge 1914 als Kriegsfreiwilliger an die Front. Vor Ypern wurde er im Nov. 1914 verwundet, 1915 kam er nach Berlin u. studierte Medizin. Dort schloss er sich dem »Sturm«- Kreis um Herwarth Walden an. Besonders eng befreundete er sich mit Georg Muche, damals Lehrer an der Kunstschule des »Sturm«, und dessen Braut Sophie van Leer. Im »Sturm« erschien fast seine gesamte Lyrik. Anlässlich seines frühen Todes schrieben Franz Richard Behrens, Kurt Heynicke u. Walter Mehring poetische Nachrufe; Muche widmete ihm ein Ölgemälde zum Gedächtnis. Das einzige Buch, der Gedichtband Das Denken träumt (Berlin 1918), wurde von Wilhelm Runge noch im Feld korrigiert, aber erst nach seinem Tod veröffentlicht.


Das Bild ist von Odilon Redon (1840 - 1916)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen