Samstag, 15. April 2023

Lessie Sachs: Lyrisches Gedicht

 



Lyrisches Gedicht

"Sie mit Ihren wunderbaren Händen, ..."
Sagt der Mann, der heut bei mir zu Gast.
Was er will, das hab ich scheu erfasst;
Heimlich denke ich: wie wird das enden?
Weil mir leider dieser Herr nicht passt.

Und er sagt, er liebt nur kluge Frauen,
Hierauf bleibe ich vielsagend stumm;
Besser ist es oft, man stellt sich dumm.
Er fährt fort, mich glühend anzuschauen,
Dies Erlebnis wirfst ihn um und um.

Und dann sagt er, ganz wie im Romane:
Meine Hände seien so graziös,
Und pervers und geistvoll und nervös, -
Er ist offenbar im Liebeswahne.
Er meint's ernst! - (Der Kaufmann sagt: seriös.)

Ich markiere Tragik und Erstaunen,
Wer Geduld hat, hört sich sowas an.
Niemals widerspreche man dem Mann,
Denn der Man spricht dann von unsern Launen.
Man sei ganz nach Wunsch, soweit man kann.

Selten kommt der Rechte, meine Damen,
Wer uns liebt, den liebt man meistens nicht. -
(Ich verwende, was mir nicht entspricht,
Gern gelegentlich zu einem zahmen,
So wie oben, lyrischem Gedicht. -)

Aus: Tag- und Nachtgedichte von Lessie Sachs
Ausgewählt und eingeleitet von Heinrich Mann
New York City 1944
Printed in U.S.A. Zeidler Press (Josef Wagner)

Lessie Sachs, geboren am 5. September 1897 in Breslau, gestorben Anfang 1942 in New York City/ USA, Dichterin und Malerin.

Das Bild ist von Hugo Scheiber (1873 - 1950)

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