Dienstag, 7. Februar 2017

Alfons Paquet: Frag Adam

Ölbild: Andrea Rausch, Fredelsloh


Alfons Paquet, geboren am 26. Januar 1881 in Wiesbaden; gestorben am 8. Februar 1944 in Frankfurt am Main war Journalist, (Reise-)Schriftsteller, Konservativer, überzeugter Pazifist und seit 1933 Quäker. Er wurde 1935 von den Nationalsozialisten als „Kommunist“ verhaftet, kam aber frei und konnte sich ein einkommen als Journalist und Reiseschriftsteller sichern. Er verzichtete auf Emigration, obwohl viele seiner Bücher verboten und verbrannt wurden. Am 8. 2. 1944 starb er während eines Bombenangriffes an einem Herzinfarkt im Keller seines Wohnhauses.




Frag Adam

Befohlen wird uns. Das fühlen wir. Aber von wem?
Gespielt wird mit uns. Das fühlen wir. Aber von wem?
Bunt sind die Fahnen, grausig die Waffen, herrlich
Die Tage der Geschichte. Aber gut ist auch die Stille,
Die der Biene gehört zur Bereitung des Honigs. Die Blumen
Gedeihen im Tau der Frühe und sehnen sich schon am Mittag
Im Licht des Mondes zurück. Die ernsten Tannen freilich
Setzen Ring an Ring und schaffen ihr Harz, das macht sie
Stark und geschmeidig und voll Rauschen im Wind
Und den ganzen Wald, wenn auch die Axt blitzt,
Völlig zum Dach des pfadsuchenden Gehers,
Dem Wild auch und dem Jäger, der ja nicht immer kommt.

Geh weit in fremdes Land bis die Gletscher hinter dir sind,
Wo die gewaltige Gobi träg ihre Dünen wälzt
Und ihr Sand wie Wasser nochmals am Fels sich bricht,
An roten Mauern um den salzrandigen See.
Es bietet sich die Forelle dem Griff
Der Reiterhände. Feuer lodert aus Dung.
Adler speisen an deinem Herd.
Steig ein und schwebe, am donnernden Bolzen hängend,
In den Wolkensaal, der leer steht zum Fest.
Der Gestalten, die in der Ferne zögern in Glanzgewändern.
Das ist nur Estrich da oben, alabastern und glatt wie Schnee,
Wenn auch gewichtslos, so daß eine Feder abwärts wehend
Die Schicht durchschlüge.
Die Sonne steht goldenheiß triumphierend im blauen Nichts,
Drin der Erdball sich dreht. Sein Helles, Belcitetes sinkt
Klaglos ins Dunkle. Dem Dunklen aber scheinen Sterne,
Die dem Blick der Sonne nicht sichtbar sind.
Weißt du, ob du je schon gestorben bist?
Weißt du sicheren Trost?
Ists nicht das erstemal, daß du stirbst?
Also hebe den Becher mit blassem Wein,
Den gläsernen, schönen Becher, und faß ein Herz,
Frag Adam, der in dir ist, frage den alten Mann
Von Millionen Jahren. Den alten Dunklen frage,
Der in dir haust und saust und braust,
Den Erstgeborenen, Tiefverlorenen,
Dem die Augen funkeln.
Frag ihn, das selbstgerechte Luder, das dem Bruder,
Dem Heimgekehrten, nicht verzeiht
Und ihn verklagt und ihn bespeit
Und an das Kreuz ihn schlägt
Und auf das Grab sein Siegel legt.
Frag ihn, der tausendmal gestorben ist,
In Lust verlodert und in Haß vermodert,
Ein Grab, das stärker als der Auferstandne ist.
Frag ihn: was sagt Christ und Gegenchrist?

Wer einmal sterbend war und die Ölung empfing und genas,
Bleibt kein Lebender wie die andern.
Auch zu den Toten ging er noch nicht.
Er bleibt im Schatten, eigentümlich dem Zwischenland,
Schon ausgesprochen dem andern Reich. Dennoch gehört
Auch das Seltsame, was ihm geschieht,
Jenem Reiche noch nicht an.
Sondern diesem. Er ist umwittert und außer Verbindung hier.
Außer Verbindung dort. Er lebt im Perlmutter
Der ungewohnten Dinge. Ist denn kein andres Jenseits,
Als das in uns? Nein. In ein andres
Haben wir keine Voraussicht. Keine.
Weder die Wüste, noch auch der Wolkensaal
Sind für dich oder nicht für dich. Am Ende erst
Ahnst du Allgegenwart. Ahnst du, was alles Einem geschieht.

Herr, Allgrausamer  -  Herr, Allgütiger, so erbarme
Dich des Gefangenen auf seinem Schemel in kahler Zelle.
Des Verstoßenen gedenke in seiner Einzelhaft. Gedenke derer,
Die mit Entsetzen lauschen dem schleifenden Schritt im Gang
Und dem Kettenklirren in der Nachbarzelle.
Herr, höre nachts im Schweigen aller Wälder,
Aller Städte, aller Eisenbahnstrecken, überm Meer noch,
Was da aufsteigt aus den Klöstern, aus dem kahlen Stein
Düsterer Kirchen, das ewige Gebet, die unablässige Brandung
Und die schreienden, murmelnden, schluchzenden
Einzelstimmen in ihr, den Ferngesang.
Herr, der Brennenden nimm dich an in der Hölle,
Der Schuldigen, die verurteilt sind mit kurzer Frist.
Ihnen schenkst du freilich Gewaltiges: den Fluch der Bilder,
Dem Verbrecher den Kelch mit dem vergossenen Blut,
Die Sättigung am gemordeten Leib,
Die Schreckenslust am sprühenden Blick
Des Pfers. Das weicht lange nicht. Das steht.
Herr, gedenke der Reichen, die mehr als andre zittern
In ihren großen Hotels, daß ein Erdbeben alles
Auf seine Riesenschultern nehme und schüttle.
Auch der Unschuldigen erbarme dich, die ohne Bilder
Und ohne Ängste schlafen. Ihrer vor allem. Rühre sie nicht an. 

Befohlen wird uns. Du, horche auch du ein wenig.
Gespielt wird mit uns. Du, laß uns den Blick
Gebannt auf das kleine sausende Spiel
Und den ermatteten Sprung der Kugel,
Und nach dem Schweigen, das Dumpfes sammelt,
Die elektrische Lust des neuen Anfangs.
Durch die Tür der Träume
Tritt ein in die Zwillingswelt unsrer Stuben,
Wo das Bett steht, wo das Wasser läuft, wo der Kräuter-Ofen,
Der alte, glüht und raucht. Dort scheide denn
Arznei und Asche.

(1936)

Aus: „An den Wind geschrieben, Lyrik der Freiheit 1933 – 1945“, gesammelt, ausgewählt und eingeleitet von Manfred Schlösser unter Mitarbeit von Hans-Rolf Ropertz; Schriftenreihe Agora, Darmstadt 1960



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