Mittwoch, 16. August 2023

Carl Maria Weber: Vor spätem Schlafengehen

 



Vor spätem Schlafengehen

Du löscht ein Licht am Rand der wachen Stirn,
Die, leicht gekräuselt, ahnt den weiten Teich
Süßesten Schlafs. Und stehst nun, fröstelnd, bleich,
Im großen Fensterrahmen ferneren Lichts.
Noch kühlt die Dämmerung. Ein graues Nichts
Hängt mantelgleich sich dir um Aug´ und Hirn.

Da klirrt es silbern auf von allen Dächern:
Gesang der Drossel steigt und reckt sein Haupt.
Ein neuer Tag naht sommerüberlaubt!
Will grausames Gestirn zum First erheben -
Du wirst jetzt deinen Leib den Linnen geben,
Nahenden Traums porphyrenen Gemächern.

Du hast ja deiner Stunden Sturm geschlichtet,
Die Augen kochen dir: nun willst du ruhn.
Doch weißt du auch, wie viel Geschöpfe tun
Bald ihr Geschick in dieses Tages Brand?
Wie an erblassten Horizontes Wand
Unzähliger rote Qual und Tod sich schichtet?

Will dich das Los der Dienenden nicht rühren?
Der Blick, darin sich sanftes Tier verhüllt
Vor dem entmenschten Jäger, wenn erfüllt
Sein kleines Dasein, an das Licht gebaut?
Hofft nicht von diesem Morgen schweißbetaut
Erlösung wer von grässlichen Geschwüren?

Der du dies tragen magst und hältst noch Freuden,
Die dir ein Kind bringt auf gewiegtem Schritt:
Komm in den Wahnsinn der Arena mit,
Die tobend uns umkrampft mit Blut und Wunden!
Sind dir Gefährten nicht dahingeschwunden,
Die dich geliebt in güldenem Vergeuden?!

Doch du bist müde und du möchtest schlafen. . .
O du Verwegener mit dem leichten Sinn!
An offner Grüfte Rand taumelst du hin,
Vermessne Eitelkeit im Busen tragend!
Auf anderm Stern, aus deinen Nächten ragend,
Löst sich dein Traum. Dann suche keinen Hafen!

Carl Maria Weber, aus: Erwachen und Bestimmung, Eine Station, Gedichte, Kurt Wolff Verlag, Bücherei der jüngste Tag, Band 66, Leipzig 1916, auch in Die weißen Blätter, Oktober 1918

Carl Maria Weber, geboren am 6. September 1890 in Düsseldorf; gestorben am 15. August 1953 in Prien am Chiemsee, Pädagoge und Schriftsteller.

Während seines Studiums an der Universität Bonn von 1912 bis 1914 knüpfte er bereits Kontakte zu Thomas Mann und Kurt Hiller. Im Laufe des Ersten Weltkrieges entwickelte er sich zum Pazifisten. 1919 war er Mitglied der Wandervogelbewegung. Er veröffentlichte seine Texte in zahlreichen expressionistischen Zeitschriften.

Das Foto zeigt ihn um 1925

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