Samstag, 26. August 2023

Jakob Haringer: O Erde

 



O Erde

Es sinken die Menschen wie Früchte des Abends,
O Seele – o Wandeln – Du brüderlich Licht!
Einst rief bang die Heimat aus rauschenden Inseln –
Ihr Vöglein was klagt ihr den Liebenden nicht?
Ich suchte die Wiege gleich schwärmenden Bienen,
Der Bettler schlingt purpurnen Schatten um's All,
Doch du wirst die silbernen Wälder zertrümmern –
Ein Fremdling und Morgen – dem dorrenden Wall
Die schöneren Häupter arm lächeln sie Veilchen,
Ach sternender Urne träumt vorige Welt –
O Gott Deine Sünden sind wir – wir Elenden
Und himmeln Vergessen im trostlosen Zelt.
Wenn stillere Sommer ihr Schicksal uns schaudern . . .
Sieh: tanzende Schiffe rührn Tod keusch und lohn,
Was spielende Feuer dem Lorbeer des Lebens
Und süß löscht die Lampen ein irrender Sohn.
Du dachtest an goldene Mühlen und Lieder –
O Maske um's Sterben bist Reise zum Kind.
Es sinken die Menschen wie Früchte des Abends,
Herz! Alles wird dämmern – wir regnen und SIND

Jakob Haringer (1898 – 1948)

René Schwachhofer schrieb 1947 in der verdienstvollen Auswahl vergessener, von den Faschisten verfemter Lyriker "Vom Schweigen befreit":

„Haringer hat einige der schönsten deutschen Gedichte geschrieben; sie könnten im Volksmund umgehen. Einst wird man fragen: Wer war ihr Verfasser?“

Das Bild ist von Odilon Redon (1840 - 1916)

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