Freitag, 4. August 2023

Frida Bettingen: Verstummen / Ich möcht so gern

 



Verstummen

Ach, wer kennt
die leidvollen Liebesströme,
die von feinen Händen betreut, verstummen,
weil sie rein und schön
ihr gewaltges Leben
hinopfern wollen.

Sieh, sie sinken trauernd zurück, und schlafen,
wie die Wasser moosüberwachsner Bronnen
in den Höfen einsamer Königsschlösser.
- - - - - - -

Niemand wird schöpfen.


Ich möchte so gern

Ich möchte so gern
mein Gesicht in Deine Hand legen,
ein kleiner Flaumvogel sein
im schützenden Nestwall,

und dann wag ich es nicht.

Ich möchte so gern
Deine süßen Augen küssen,
daß sie schliefen einen Augenblick bei mir,

und dann wag ich es nicht.

Ich möchte so gern
Deinen Herzschlag hören.
Dein Herz hat so viel stolze Wände.

Ob es wohl Holdes von mir spricht? -
Alles möchte ich!
Alles!

Aber es wird nur ein zages, kleines Gedicht.

aus: Frida Bettingen Gedichte, Bei Georg Müller München 1922

Frida Bettingen (* 5. August 1865 in Ronneburg; † 1. Mai 1924 in Jena; geborene Frida Reuter), Schriftstellerin, expressionistische Lyrikerin.

Die Familie lebte 24 Jahre bis zum Tod von Franz Bettingen in Krefeld, danach zog sie nach Jena. Dort studierte Bettingens Sohn Philologie. Er starb 1914 im Ersten Weltkrieg, was bei Frida Bettingen zu schwerwiegenden psychischen Problemen führte. Ab 1917 hielt sie sich mehrmals in Sanatorien auf. 1923 wurde sie in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Zwischen diesen Aufenthalten war es ihr jedoch möglich, ein weitgehend normales Leben zu führen. Sie schrieb Gedichte, wobei die Inspiration dazu hauptsächlich aus ihrer Trauer und Verzweiflung als Mutter entsprang. Erst mit diesem Spätwerk nahm sie, gefördert von Wilhelm Schäfer, an der expressionistischen Bewegung teil.

Das Bild ist von Ferdinand Knab (1834 - 1902)

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