Prolog
Ich sitze hier am Schreibtisch
Und schreibe hier Gedichte,
Indem ich in die Tinte wisch
Und mein Gebet verrichte.
So gibt sich spiegelnd Vers an Vers
In ölgemalter Glätte,
Nur selten fragt man sich: Wie wär´s,
Wenn es mehr Seele hätte?
Die Seele tut mir garnich weh.
Sie ist ganz unbeteiligt.
Nackt liegt sie auf dem Kanapee
Und durch sich selbst geheiligt.
Des Abends geh ich mit ihr aus,
Im Knopfloch eine Dahlie.
Ich selber heiße Stanislaus,
Sie aber heißt Amalie.
Müde schleich ich
Müde schleich ich durch die Morgenstille,
Und es bebt in mir ein fremder Wille.
Wie die Glocken fernes Ave läuten,
Scheint es mir Verachtung zu bedeuten
Meine Lippen, die noch dunkel bluten
Von des Weibes ungehemmten Gluten,
Hass, dass ich die Tage frei verprasse,
Und ein Armer nicht in Zucht sie lasse.
- Nimmer neid ich euch die Kirchenenge
Und den Küster. Zerren wir die Stränge,
Soll ins Land der Klöppel donnernd hämmern:
Morgenrot! Klabund! die Tage dämmern!
Ich kam
Ich kam.
Ich gehe.
Ob je mich eine Mutter auf die Arme nahm?
Ob je ich meinen Vater sehe?
Nur viele Mädchen sind bei mir.
Sie lieben meine großen Augen,
Die wohl zum Wunder taugen.
Bin ich ein Mensch? Ein Wald? Ein Tier?
Man soll in keiner Stadt
Man soll in keiner Stadt länger bleiben als ein halbes Jahr.
Wenn man weiß, wie sie wurde und war,
Wenn man die Männer hat weinen sehen
Und die Frauen lachen,
Soll man von dannen gehen,
Neue Städte zu bewachen.
Lässt man Freunde und Geliebte zurück,
Wandert die Stadt mit einem als ein ewiges Glück.
Meine Lippen singen zuweilen
Lieder, die ich in ihr gelernt,
Meine Sohlen eilen
Unter einem Himmel,
Der auch sie besternt.
Epitaph als Epilog
(für Bry)
Hier ruhen siebenundzwanzig Jungfrauen aus Stralsund,
Denen ward durch einen Interpreten des Dichters neueste Dichtung kund.
Die hat die empfindsamen Mädchenherzen so sehr begeistert,
Dass auch nicht eine mehr ihr Gefühl gemeistert.
Man hängte sich teils auf, teils ging man in die See.
Nur eine ging zum Dichter selbst. (Und zwar aufs Kanapee.)
Aus: Morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern!, Gedichte von Klabund, Erich Reiß Verlag, Berlin 1913
Klabund, das ist Alfred Henschke, geboren am 4. November 1890 in Crossen an der Oder, gestorben am 14. August 1928 in Davos.
Alfred Henschke wählte das Pseudonym Klabund im Jahr 1912 und wird vom Autor unter anderem als Zusammensetzung aus den beiden Wörtern Klabautermann und Vagabund erklärt.
Ein erster Band mit Gedichten erschien 1913 in Berlin unter dem Titel Morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern! 1913 kam der Kontakt zu Alfred Kerrs Zeitschrift PAN zustande; ebenso veröffentlichte er in der Jugend und im Simplicissimus. Von 1914 an war er Mitarbeiter der Zeitschrift Die Schaubühne, die später in Die Weltbühne umbenannt wurde. Den Ersten Weltkrieg begrüßte er anfangs begeistert, wie andere Schriftsteller auch, und verfasste eine Reihe patriotischer Soldatenlieder. Zum Militär wurde Klabund nicht eingezogen, da mittlerweile diagnostiziert worden war, dass beide Lungenflügel von Tuberkulose befallen waren. Die Jahre bis zu seinem Tod hielt er sich häufig in Schweizer Lungensanatorien auf.
Im Laufe des Krieges wandelte sich Klabund zum Kriegsgegner. Beeinflusst wurde er in dieser Wandlung durch Brunhilde Heberle, seine zukünftige Frau, die er im Lungensanatorium kennengelernt hatte. Er nannte sie mit ihrem zweiten Vornamen Irene, was „die Friedliche“ bedeutet. !918 heiratete er sie, doch sie starb noch im selben Jahr.
Im Tessin schloss er sich einem Kreis pazifistischer deutscher Emigranten an, die eng mit dem Monte Verità von Ascona verbunden waren. In der „Villa Neugeboren“ in Monti sopra Locarno, die er mit seiner Geliebten bezog, wohnten oder verkehrten um dieselbe Zeit Ernst Bloch, Hermann Hesse, Emmy Hennings, Else Lasker-Schüler und der Naturprophet Gusto Gräser. 1917 veröffentlichte die Neue Zürcher Zeitung Klabunds offenen Brief an Wilhelm II, mit der Aufforderung zur Abdankung. Gegen Klabund wurde daraufhin ein Verfahren wegen Vaterlandsverrats und Majestätsbeleidigung eingeleitet. In der Schweiz gehörte er zum Kreis um René Schickele, für dessen pazifistische Weiße Blätter er auch schrieb.
Bei einer Theateraufführung am Juli 1924 in den Münchener Kammerspielen lernte er Carola Neher kennen. Mai 1925 heirateten beide und führten eine turbulente Ehe,
1925 wurde Klabunds Drama Der Kreidekreis in Meißen uraufgeführt. In den folgenden Jahren schrieb Klabund regelmäßig für Kabaretts wie zum Beispiel Schall und Rauch. Seine volkstümlichen, an den Bänkelsang angelehnten Gedichte und Lieder erreichten in diesen Jahren ihre größte Popularität.
Im Mai 1928 erkrankte er bei einem Italienaufenthalt an einer Lungenentzündung, die zusammen mit seiner nie ausgeheilten Tuberkulose lebensbedrohlich wurde. (Wiki)
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