Seliges Versäumen
Mich befiel der Ekel an der Tat,
dass man etwas tun muss, um zu gelten -
Arbeit, welche für den Gang der Welten
nicht soviel ist, wie ein windverwehtes Blatt,
Dass man durch die Kraft der Träume,
durch das glühend warme Blut
nicht, indem man ist und ruht,
Leben ausstrahlt in die Räume
wie der Sonne stille Glut.
Wieviel besser sind die Bäume,
welche stumm verweilend stehen
und in seligem Verweilen
schlummernd, sich ins Weltall säen!
Warum zeigen? Warum blenden?
Mit den kunst-voll armen Dingen,
welche nur die Kraft verschwenden,
nimmermehr nach außen wenden
gleich entschlüpften Schmetterlingen
das Verborgene vollenden?
Meer, darin die Inseln liegen,
die uns Kontinente gelten,
atmest - sie vergehen;
atmest - sie entstehen;
brauchst nur dazuliegen:
Gott ist dir entstiegen
und auf deinen Armen wiegen sich die Welten.
Leo Sternberg, aus: Die Aktion Nr. 27, 1913, Lyrische Anthologie
Leo Sternberg, geboren am 7. Oktober 1876 in Limburg an der Lahn, er schrieb Lyrik und schuf eine Reihe von kulturhistorischen Werken. Seine Lyrik erschien unter anderem in den Zeitschriften Die Aktion, Hochland, Der Brenner, Jugend und Der Feuerreiter. Als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie trat er 1906 aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft aus und 1933 der katholischen Kirche bei. Als „Nicht-Arier“ wurde er 1934 vom Dienst als Amtsrichter suspendiert, vorzeitig in den Ruhestand versetzt und hatte fortan Schwierigkeiten, seine Werke zu veröffentlichen. 1937 reiste Sternberg mit seiner Frau nach Jugoslawien, um Recherchen zu einem Romanprojekt über den Kaiser Diokletian anzustellen. Seine Tochter war bereits zuvor nach Jugoslawien ausgewandert. Wenige Tage nach seiner Ankunft im Oktober starb er auf der Insel Hvar in Dalmatien und wurde dort beerdigt. Sein Bruder Hugo Max Sternberg, dessen Frau Lola und die gemeinsame Tochter Lili wurden 1943 in Auschwitz ermordet.
Das Bild ist von Odilon Redon (1840 – 1916)
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