Wenn ich einmal in eine Stadt komme, besuche ich gerne Antiquariate. Diese, die so ein bisschen anmuten wie das aus den Wilsberg-Krimis. Und ich suche zielgerichtet die Lyrikecke auf. (Es ist fast immer eine Ecke - oder an an einer Abseite, um der Lyrik ihren Platz zu zuweisen). Ich mag das Stöbern, die Möglichkeit, mir Unbekanntes zu entdecken. Anthologien und Klassiker in dieser Ecke interessieren mich nicht sonders. Es sind eher die schmalen Bändchen, die sich dort finden lassen, oft schon zerlesen, und meist für ein kleines Salär zu haben. Und oft stehen Namen auf dem Einband, die mir vorher kein Begriff waren.
Bei meinem letzten Besuch in einem Antiquariat in Göttingen habe ich einiges gefunden, was mitnehmenswert war. Ein schmaler Band hat mich sofort angesprochen, schon wegen des Titels, hatte ich doch in meinem Arbeitsleben als gelernter Gärtner sieben Jahre in einer Rosenbaumschule gearbeitet: „Die eine Rose überwältigt alles“, von Eva Strittmatter.
Immer wieder musste ich beim Blättern und Querlesen schmunzeln, denn auch ich bin passionierter Pilzsammler, so dass mich Zeilen wie die folgenden sofort ansprachen: „Hier war einst Hochwald, als wir herkamen. / Reifpilze gabs mit perlmuttenem Hut. / . . . / Beim Fluchtsprung vor dem fremden Geruch / Wuchsen vier Jahre lang Frühlingsmorcheln / . . . / die rochen schwer wie nach Gräbererde, / Und manchen schon würzte die Morcheln der Tod. . . / Diese Speise haben wir damals gegessen / . . . / Wie gewissenlos und wie jung man einst war.“, heißt es in dem Gedicht „Die Alte erzählt“; und mit den Zeilen: „Ich ging in den Wald. Wollte Grünlinge suchen. / Doch das lodernde Laub der Oktoberbuchen / Im sonnendurchfluteten Wald / Hat mich verwirrt. . .“
Bei mir wurden Erinnerungen wach: Reifpilze habe ich bisher nur einmal gefunden, als ich im Waldviertel in Österreich auf Pilzpirsch war. Die wohlschmeckenden Pilze wanderten in den Korb. Die „Frühjahrsmorcheln“ sind die hier die Frühjahrslorcheln, die mancherorts immer noch als Speisepilz gesammelt und nach besonderer Zubereitung gegessen, gerade von den alten Pilzsammlerinnen und Sammlern: „Die haben wir schon immer gegessen“ (genau wie die kahlen Kremplinge). Doch diese Lorcheln enthalten ein Pilzgift, und Vergiftungen können auch trotz "besonderer Zubereitung" auftreten. Ähnlich verhält es sich mit den genannten Grünlingen, die mittlerweile auch zu den Giftpilzen gezählt werden.
Doch nicht nur die Natur ihrer Heimat, die oft detailliert beschrieben wird, schlägt sich in den Gedichten von Eva Strittmatter nieder, sondern auch alltägliche und nichtalltägliche Begebenheiten sind Gegenstand der Betrachtung, die Preisverleihung wahrscheinlich eines Literaturpreises, bei dem ein Quartett Bach spielte und Heine zitiert wurde, ärgerlicherweise zum Essen: „Wir meinten den Preis. . . Und wie stehen sie zu Heine? / Was bedeutet das Buch der Lieder für sie? / Von tausend Strophen vor allem die eine / Die heißt: ich dachte, ich trüge es nie.“
Die titelgebenden Rosen sind immer wieder in kleinen achtzeiligen Gedichten erwähnt, welche das Büchlein durchziehen, wie etwa folgende:
Mondrose
Komm in mein Zimmer, wenn Mondlicht ist.
Es hat sieben Fenster mit Seidengardinen.
Die werden vom vollen Mondeslicht
Wie Rosenblätter durchschienen.
Das bin ich sicher: du hast noch nicht
In einer Rose gelegen.
Wir lassen uns vom Mondeslicht
Im Innern der Rose bewegen.
Die eine Rose
Die eine Rose überwältigt alles,
Die aufgeblüht ist aus dem Traum.
Sie rettet uns vom Grund des Falles.
Schafft um uns einen reinen Raum,
In dem nur wir sind und die Rose.
Und das Gesetz, das sie erweckt.
Und Tage kommen, reuelose.
Vom Licht der Rose angesteckt.
Eva Strittmatter wurde am 8. Februar 1930 in Neuruppin geboren, sie lebte im brandenburgischen Schulzenhof, wohin sie 1957 mit ihren Mann gezogen war. Die Brandenburgische Landschaft und Flora und Fauna beschreibt sie immer wieder in ihren Gedichten. Sie starb am 3. Januar 2011 in Berlin. Seit 1954 war sie freie Schriftstellerin.
Ich habe das kleine Buch liebgewonnen und blättere gerne darin. „Ach dass wir Dichter nicht daran dachten, / Es könne ihm gefährlich sein, / Wenn er alleine geht“
Die eine Rose überwältigt alles, Gedichte, Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1977
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