Mittwoch, 24. Mai 2023

Otto Abeles: Das ist die ganze Seligkeit / Rudolf Börsch: Flametta

 

Otto Abeles


Das ist die ganze Seligkeit

Das ist die ganze Seligkeit
Weit – weit
Klingt wo ein Lied.

Wie’s mit dem Winde näher zieht,
Halten wir still und sinnen und träumen
Den goldenen Traum von den Cederbäumen,
Von Zinnen, die in die Lüfte ragen,
Von garbenschweren Erntetagen,
Von Wipfeln, die Urväter Weisheit rauschen,
Und Jüngern, die versonnen lauschen,
Von Kränzen, die alle Stirnen säumen –
Und schließen die Lider und träumen . . .  und träumen . . . 

Das Lied verklingt, – wir sind erwacht:
Rechts hockt der Hohn und grinst und lacht,
Links schleicht das todesmüde Leid . . . 

Das ist die ganze Seligkeit . . . 

Otto Abeles


Flametta

Ich verstürme in tonlosen Wirbeln mich,
rase Flammenglanz um deinen Schritt.
Ach! Dein Blut ergießt in meine Adern Bläue.
Ach, dies unerhörte, neue
sich in andre Pflanzen!
Palmen stehen dicht in bronznen Kübeln.
Meine Sehnsucht ist zu enge Fessel,
wirbelt Blick in Blick
wie Sonnentuberanzen.
O, wir sind zwei wilde Pflanzen,
eng umklammert, dicht verwittert und verwachsen.
Fühlst Du unsre Stämme brechen?
Licht verzagt in Wolkenfinsternissen
Sturm peitscht wilder unsre Blätter!
Nein, wir wollen keine Retter,
Wenn in letztem Kampf wir jäh verflammen.

Rudolf Börsch, aus: Die neue Jugend, Juni 1914

Otto Abeles, geboren am 1. Mai 1879 in Rohaletz bei Nikolsburg, gestorben am 25. Mai 1945, Journalist, Schriftsteller und Musikkritiker. Er übersiedelte Anfang September 1934 in die Niederlande und wurde eines der eifrigsten und mutigsten Mitglieder der Amsterdamer jüdischen Gemeinde, er war auch Direktor des niederländischen Zweiges des Keren Hajessod. Nach dem Einmarsch der Deutschen Truppen während des Zweiten Weltkriegs wurde auch Abeles gefangen genommen und im Durchgangslager Westerbork interniert. Im Mai 1944 wurde er weiter ins KZ Bergen-Belsen deportiert. Er starb etwas mehr als einen Monat nach seiner Befreiung aus dem KZ an einer Flecktyphusinfektion.

Rudolf Börsch, geboren 1893 oder 95, studierte in Berlin und war mit Else Lasker-Schüler, Wieland Herzfelde, Heinz Barger und Friedrich Holländer befreundet. Mit letzteren beiden gab er 1914 die Zeitschrift Die neue Jugend heraus. Am 25. Mai 1915 „fiel“ er in Galizien, Franz Pfemferts „Aktion“ veröffentlichte einige seiner Texte aus dem Nachlass.

Ekstase der Sehnsucht

Ich bin lauter Sehnsucht alt. Die Straße wächst aus blond in jede Morgenferne. Blut bricht mir aus den Händen, rinnt nieder, strömt. Die Landschaft wird zum glühenden, zischenden Traum. Ich fühle mein Gesicht schon anders werden. Ich trage auf meinem gehobenen Kopf dein Antlitz wie eine Fahne. Ich vergesse schon, dass ich war. Ich weiß kaum noch, dass ich eben im Café saß, dass mir die Stimme der Leute Musik zu deinem Gange war. Ich scharre überall nach meinen Vergangenheiten. Mein Gehirn reißt in Stücke. Häuserfetzen stürzen mir entgegen. Die Stadt wird Urwald. Getier packt mein zuckendes Gehirn. Der Irrsinn ist ein allzu greller Mond. Ich decke mich mit Dämmerung.

Rudolf Börsch, aus: Die Aktion, 25. März 1916

Das Foto zeigt Otto Abeles

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