Sonntag, 28. Mai 2023

Oskar Kanehl: Literaturkaffee

 



Literaturkaffee


Vor leeren Tischen oder Schalen braun,
lumpig und langhaarig,
klumpig geknäult und paarig.
Eben aus dem Bette. Blaß wie ein Klaun.

Wollen Sie meine Bilder ..
Sie haben von mir noch nicht ..
Sahen sie mein Gedicht ..
Sie müssen bei mir den Stil der ..

Zeitschriften werden zerkaut.
Philosophen geschlachtet.
Mit gemalten Weibern übernachtet.
Konzerte verdaut.

Grinsende Spießer. Kurfürstendammwelt
– Renndepeschen. Telephon –
schnappen gierig jeden Ton
der vom Künstlertische abfällt.

Letzte Zigarette. Morgens.
Hängende Lider. Mürbe. Schal.
Ach, Ober Sie borgens,
sein Sie auch mal genial.

Oskar Kanehl, Erstdruck: Wiecker Bote 4. 1913.

Oskar Kanehl (1888-1929) gab 1913/14 in Greifswald die Zeitschrift Wiecker Bote heraus, die 1995 wiedergegründet wurde. Während im Gefolge der 68er Bewegung seine (anarcho-)proletarischen Bände in der Bundesrepublik neu aufgelegt wurden, ist das präproletarische Werk bis auf vereinzelte Nachdrucke vergessen. Band 1 des soeben erschienenen „Pommerschen Jahrbuchs für Literatur“ druckt 15 frühe Gedichte.

Pommersches Jahrbuch für Literatur. Band 1. Hrsg. Karl-Heinz Borchardt, Michael Gratz, Roland Ulrich. Greifswald: Wiecker Bote 2003. 293 S. ISDN: 3-8330-0288-3 (Vertrieb: bod)

Das 37. Heft der vom Verein POESIE SCHMECKT GUT in Jena herausgegebenen Lyrikreihe „VERSENSPORN – Heft für lyrische Reize“, das im September 2019 erschien, widmet sich dem vergessenen proletarisch-revolutionären Dichter Oskar Kanehl, der neben Erich Mühsam und Franz Jung zu den interessantesten politischen Dichtern der frühen zwanziger Jahre gehört. Aus dem Klappentext:

"Oskar Kanehl, geboren am 5. Oktober 1888 in Berlin, studiert ab dem Herbst 1908 Deutsch, Englisch, Französisch und Philosophie an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, will 1912 in Würzburg mit einer Arbeit über den jungen Goethe promovieren, fällt jedoch durch. Im Frühjahr 1912 schreibt er sich an der Universität Greifswald ein und erlangt im November des Jahres den Doktorgrad. Im nahegelegenen Fischerdorf Wieck, in das er inzwischen gezogen war, gründet er mit mehreren Mitstudenten die Zeitschrift „Wiecker Bote“, die eine zivilisationsfeindliche Haltung einnimmt und den „anarchischen Studententypus“ postuliert. Im Juli 1914 wird die Zeitschrift wegen „Gotteslästerung und Verbreitung unzüchtiger Schriften“ verboten. Kanehl wird zum Kriegsdienst einberufen. Die unmittelbare Konfrontation mit den Gräueln des Krieges und dem dafür verantwortlichen Militarismus und Nationalismus schürt Kanehls Hass gegen deren Träger und Förderer. Nach Kriegsende engagiert er sich stark in verschiedenen linkskommunistischen und syndikalistisch-unionistischen Organisationen. Seine Lyrik hat sich inzwischen von den frühexpressionistischen Anfängen (über Antikriegs-Gedichte) hin zu einer wirkungsmächtigen politischen Agitationslyrik entwickelt. 1921 wird gegen ihn wegen zweier Gedichte ein Ermittlungsverfahren wegen „Hochverrats“ eingeleitet; 1924 erfolgt wegen eines weiteren Gedichts ein Prozess wegen „Anstiftung zur Gewalttätigkeit“; 1928 wird sein Gedichtband „Straße frei“ beschlagnahmt und Strafantrag wegen „Aufreizung zum Klassenhass“ gestellt. Oskar Kanehl stirbt am 28. Mai 1929 nach einem Sturz aus dem Fenster seiner Wohnung in der Berliner Kantstraße."

Das Heft bietet insgesamt 41 Gedichte. Neben einer Auswahl aus Kanehls drei Gedichtbänden „Die Schande“ „Steh auf, Prolet!“ und „Straße frei“ werden auch frühere, nur verstreut publizierte Gedichte wieder abgedruckt.

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