Die Legende vom weltverkommenen Sonka
Bettler von Haus zu Haus, wo wohnst du?
Auf der Menschheitsgaleere, geschmiedet an die Zeiger der Lüge,
Geflochten ans Urrad, ans Uhrrad der Zeit,
Hausen die Nächsten, Besitzer der Höhlen und der Paläste,
Hassen die Armut, die sie furchtsam lästern
Und mästen Gewissen verbittert mit Wahn. -
Aber du?
Blaudunkel flutet dein Blick:
Doch die Nacht kennt dich nicht,
Du bist unter Schatten nicht zu erblicken,
Dich beherbergt kein Grab.
Dein Antlitz ausgemergelt von Sonne -
Und ich begegne dir nie,
Wie du des Sommers wanderst im Staub der Straßen
Oder wie du wanderst am weißen Strand vor den Toren,
Und ich find dich nicht schlafen am Wiesenrain
Und ertapp dich nie
Abbeerend die Sträucher am Weinberg.
Die Gräser blühen nichts von deinem leichten Gang,
Die Wipfel rauschen nichts von deinem sich wiegendem Haupt,
Der Winde Atmen hat dein Odem nie verspürt.
Nicht kündet spiegelnd dich der Glanz der herben Jahreszeiten:
Schnee oder Blüte,
Die Männer wissen dich nicht,
Die Frauen: niemals hat solch ein Mensch hier gebettelt.
Und ich erschau dich doch allemal, Bettler von Haus zu Haus,
Am hellen Mittag und zur Mitternacht
Unbekümmert schreiten von Haus zu Haus
In Bettlertracht
Mit deinem Bettelsack
Und deiner Schnapsflasche:
Wo luderst du dein Tagwerk hin?
Was ist dein Wesen, was dein Sinn?
Wo ruhst du aus?
Zeitgeläute, raumatmend, Werden tönt nur Klageruf,
Sonka nennt mich die Erde.
Sich tötete der Mensch, der liebend mir den Namen schuf,
Geist, dass er ewig, und nicht mehr werde.
Beseelt war der Anfang, entleibt das Ende -
Tod ist vollendetes Immer.
Und wiedergeboren bricht aus tagdurchflossenem Sein
Widerhall seiner Stille
- Erstritten erlitten auf Erden einmal -
Das Wort und der Laut:
Ein Mal, mir geworden, ein Name,
Liebe und Sterben, in Ewigkeit da sein
Bedeutet dem Dulder,
Verwirklicht den Dichter,
Leitet im Wesen der Welt des Sehens heimgeheiligten Pfad,
Schmerzerhellte Beziehung zum Geist:
Stoff gestaltet den Schein der Legende,
Endlich verklingen, endlich geläutert von meines Ursinns Berührung
Verklingen die Dinge Sonka.
Gleichnis verwirrt und Bild verführt,
Da ist des Wortes Irresein,
Da ist der Traumgesichte Schein.
Ich schreite gleite unberührt,
Ein jeder geht den Weg allein.
Stein wie Stein, Staub wird Stein,
Weg beleibt, was der Weg gebiert,
Spur nur, was der Fuß verliert.
Aber jenseits von Weg und Spur und Staub -
Ist Sein Gott.
Gleichnis haucht das Tote nicht lebendig,
Bild schlägt, was lebendig wurde, tot.
Aus meinem leeren Bettelsack verschenk ich ewig Brot
Und meiner Flasche Nichts, das ich verspreng, ist wahnlos, nichts,
Beständig.
Hugo Sonnenschein, aus: Der neue Daimon, Heft 3 - 4, April 1919, Genossenschaftsverlag, Alfred Adler, Albert Ehrenstein, Fritz Lampl, Jakob Moreno Levy, Hugo Sonnenschein, Franz Werfel.
Hugo Sonnenschein, geboren am 25. Mai 1889 in Gaya, Österreich-Ungarn, gestorben am 20. Juli 1953 in Mirov, Tschechoslowakei, er schuf expressive Gedichte mit volksliedhaften Zügen. In seinen Gedichten stilisierte er sich selbst zum „Bruder Sonka“. Von 1911 bis 1914 zog er als Vagabund durch Europa. 1934 wurde er aus Österreich ausgewiesen. 1940 wurde er von den Nazis im Gefängnis Pankrác inhaftiert und 1943 in das KZ Auschwitz deportiert und 1945 befreit. Seine Frau wurde in Auschwitz-Birkenau ermordet.
Das Foto zeigt einen Wanderarbeiter 1901, unbekannter Fotograf.
Das gesamte Werk "Die Legende vom weltverkommenen Sonka" habe ich auf meinem Blog Die anderen Seiten eingestellt: Hier ist der link dazu Sonka
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