Montag, 2. Oktober 2023

Anselm Ruest: Herbstmorgen

 



Herbstmorgen

Aus fröstelnder Umklammrung Nebelnacht
Rollt sich die Flur zum kühlen Morgenlichte;
Grün schimmert unter´m Reif nur noch die Fichte,
Indes der Laubwald wie verhext erwacht.

Und wie aus Dämpfen aufsteigt Pracht um Pracht,
Erstaunt sich starrend in ihr Fremdgesichte -
Schmiegt sich´s getrost zu neuem Farbgedichte,
Das schon versöhnt dem grellen Tage lacht.
Ob tollster Mut gebar so wirre Träume?
Sind´s kranke Wünsche, deren Farben blassten?
Ein trunkner Aether - raschelnd welk in Kränze

Doch sicher ist´s ein Tod, als ging´s zu Tänzen!:
So soll auch meine Seele dumpf nicht rasten
Webt einst die Nacht ihr Flughemd durch die Räume. . .

Anselm Ruest (1878 - 1943)

Aus: Die Aktion - Wochenschrift für Politik, Literatur, Kunst; Sondernummer „Lyrische Anthologie“, 1913

Das Bild „Herbst“ ist von Leon Spilliaert (1881 – 1946)

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