Dienstag, 17. Oktober 2023

Karl Gustav Vollmoeller: Nun wird mein Leben mit jedem Tag stiller und blässer. . .

 



Nun wird mein Leben mit jedem Tag
stiller und blässer,
kaum dass ich noch Stunden vernehmen mag
wie unterirdischen Tropfenschlag
verlorner Gewässer.

Wie dämpft sich das Laute mit einem mal
wie ist das Gewimmel
der bunten Farben verhüllt und fahl
und die ganzen Tage vom steten Opal
ewiger Abendhimmel,

und wie ist es, dass Dinge jetzt einfach geschehn
die unfassbar deuchten,
schwarze Teiche im Vorübergehn
und Frauen, welch ich nie gesehn
ganz plötzlich leuchten

und Zerrissnes sich bindet und sagt mir was,
macht jetzt meine Lider
von lange vergessnen Tränen nass -
ganz alte Worte, die ich vergaß
finde ich wieder.

O Gott, die Zeit ist Wunders voll:
es fallen und steigen
die Wasser uralter Liebe und bald
wird Altes zu Neuem und Neues alt,
mich schläfert eigen.

Es spinnt mich ein dunkel verworrener Traum
vom Unbekannten
hinüber zum unbekannten Raum:
dazwischen leb ich und hab es kaum
einmal verstanden.

Karl Gustav Vollmoeller, aus: "Parcival – Die frühen Gärten", S. Fischer Verlag, Berlin 1903

Karl Gustav Vollmoeller wurde am 7. Mai 1878 in Stuttgart geboren, er verstarb am 18. Oktober 1948 im Exil in Los Angeles. "Parcival – Die frühen Gärten" ist der Gedichtband, der dem Autor zum Durchbruch verhalf. Das 1903 erstmals veröffentlichte Buch machte ihn zum anerkannten und gefeierten Lyriker.

Das Bild ist von Frederick James Shields (1833 - 1911)

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