Dienstag, 31. Oktober 2023

Simon Kronberg: Requiem / Kaddish, Gebet der Söhne für ihre toten Väter

 


Requiem

Die Dürre seines Lebens, Ewiger, verscheucht den Schlaf des Toten!
Oh, wie gierig mich die Finger dieser Furcht versuchen, und Du,
Durst meiner Seele, sollst nur jenseits sein? So lähm ich mich
und strafe meine Enge mit dem Schrei und weine Schrei und fürchte
und scheue meinen Schrei bis an die Grenze, Gütiger des Landes,
vor dem das Wort sich wendet und der Sinn verrinnt.
Erst wenn die Hände eines längst Gestorbenen von mir sich lösten,
tötest Du mir Lebenden den Tag. Und ich soll jenseits suchen?!


Kaddish, Gebet der Söhne für ihre toten Väter

Sie sagen den Namen:
Das Brot wird vergessen,
aus der Straße in Tempel
rennen die Söhne.

Sie sagen den Namen:
er kommt, zerkeucht Atmen
in Furchen Geweins
steinen Gebete.

Sie sagen den Namen:
Am Eingang des Wortes
zerfällt das Gelächter,
Staub auf den Lippen.

Sie sagen den Namen:
Lippen umzieht Tod
des nur einmal dagewesenen
Wortes über den Geliebten.

Sie sagen den Namen:
die Frauen merken,
als Schmerz aus ihren Leibern
buchstabiert das Geschehene.

Sie sagen den Namen:
bedrohen Kälte und Kot,
während das Verderben
aus beiden lebt.

Sie sagen de Namen:
aus der Seele des Gebetes
blüht die Beschwörung -
„es soll nie sein in Tränen.“

Sie sagen die Namen:
die Männer zerreißen
sein Alter mit Klage
in Wort für Wort.

Sie sagen die Namen:
und sie spalten Gedanken in Wege,
abseits vom Sterben
atmen Gedanken.

Sie sagen den Namen:
Die Stille der Müdigkeit
kleidet das Amen.
Die Stunde zählt leise zur Zeit. -

Simon Kronberg, Schriftsteller und Dichter, geboren am 26. Juni 1891 in Wien; gestorben am 1. November 1947 in Haifa. Aus: Werke Band 1 Lyrik, Prosa, Herausgegeben von Armin A. Wallas, Boer Verlag,

Als Kind jüdischer Eltern 1891 in Wien geboren, lebte er anschließend in Hellerau, München, Düsseldorf und Berlin. Dort fand er 1915 Anschluss an Franz Pfemferts »Aktion«, in der er seine Gedichte veröffentlichte. Daneben schrieb er Theaterstücke und Prosa. 1934 verließ der Deutschland und ging nach Palästina, wo er als einfacher Schuhmacher und Stimmbildner arbeitet. 1947 stirbt er in Haifa
.

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