Donnerstag, 26. Oktober 2023

Leo Sternberg: Als was bin ich gedacht im Weltenplan?

 



Als was bin ich gedacht im Weltenplan?

Ich suche mich, solang ich denken kann,
betrachte mich im Spiegel aller Wesen
und will aus Freund- und Feindesblicken lesen:
Als was bin ich gedacht im Weltenplan?

Mit Suchen hab ich meine Zeit vertan.
Was soll ein Werk, von Gott nicht zugewiesen!
Ich hielt mit Großen Rat, die mitumschließen,
was in der Schöpfung ruht von Anfang an.

Bin ich ein überflüssiger? Betrogen
beim Wurf der Lose? Aus Beruf ein Kind,
das müßig sein soll? Christus auf den Wogen?

Ein luftgeschaffnes Nichts? Ein Brückenbogen,
über den Strom gespannt, durch den die Welle rinnt,
durchflogen von der Schwalbe, kahndurchzogen?

Leo Sternberg, aus: Im Weltgesang, Berlin 1916

Leo Sternberg, geboren am 7. Oktober 1876 in Limburg an der Lahn, er schrieb Lyrik und schuf eine Reihe von kulturhistorischen Werken. Seine Lyrik erschien unter anderem in den Zeitschriften Die Aktion, Hochland, Der Brenner, Jugend und Der Feuerreiter. Als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie trat er 1906 aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft aus und 1933 der katholischen Kirche bei. Als „Nicht-Arier“ wurde er 1934 vom Dienst als Amtsrichter suspendiert, vorzeitig in den Ruhestand versetzt und hatte fortan Schwierigkeiten, seine Werke zu veröffentlichen. 1937 reiste Sternberg mit seiner Frau nach Jugoslawien, um Recherchen zu einem Romanprojekt über den Kaiser Diokletian anzustellen. Seine Tochter war bereits zuvor nach Jugoslawien ausgewandert. Wenige Tage nach seiner Ankunft im Oktober starb er auf der Insel Hvar in Dalmatien und wurde dort beerdigt. Sein Bruder Hugo Max Sternberg, dessen Frau Lola und die gemeinsame Tochter Lili wurden 1943 in Auschwitz ermordet.

Das Bild ist von Georges Rochegrosse (1859 - 1938)

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