Einkehr ins Nichts
Was sie jetzt machen mag? . . .
Ich quäle mich, nicht mehr daran zu denken,
Für mich ist es nun ewig Wochentag.
Was festlich war, ich will es tief in mich versenken.
Befühl ich meine Brust, des Herzens matter Schlag
Mahnt mich: Jetzt darfst du nicht mehr daran denken.
Für dich fortan ist immer Wochentag. . .
Nichts mehr geschieht. Man merkt mir gar nichts an.
Ich esse, trinke, gehe ins Bureau;
Man grüßt und sieht sich einander fremd und höflich an.
Der Abend kommt. Ich weile irgendwo.
Und schlafen geh ich, ohne müd zu sein,
Und wache auf und finde mich allein.
Nicht rasch, nicht langsam geht des Herzens Schlag.
Ich denke nur: Heut ist ein Wochentag,
Und morgen einer, und so wird es immer sein.
Otto Pick, aus: Arkadia, Jahrbuch für Dichtkunst, Kurt Wolff, Berlin 1913
Otto Pick, geboren am 22. Mai 1887 in Prag, deutsch-böhmischer Schriftsteller und Übersetzer, am 25. Oktober 1940 starb er im Exil in London.
Aus dem Alt-Prager Almanach 1927, herausgegeben von Paul Nettl, Prag: Die Bücherstube (1926). – Auf Seite 169 befindet sich eine Anzeige für Otto Picks Gedichtsammlung »Wenn wir uns mitten im Leben meinen«, die 1926 im Verlag »Die Bücherstube« erschienen war. In der Anzeige zitiert werden Thomas Mann, Franz Werfel, Felix Braun, Else Lasker-Schüler, Alfred Kubin und Paul Westheim sowie das »Prager Tagblatt« und das »Prager Abendblatt«. Else Lasker-Schüler wird mit folgenden Worten zitiert, die in keiner Werkausgabe abgedruckt sind:
»Ich las zuerst: ›Der Vater betet‹ – ein herrlich großes feierliches Gedicht.« Das Gedicht lautet:
Der Vater betet
An manchen Tagen im Jahr
ist seine Art, uns zu lieben,
verwandelt sonderbar.
Etwas ist ferne geblieben,
was sonst seine Blicke erwärmt.
Er hört zwar nicht auf, uns zu lieben,
doch etwas besteht, was ihn härmt
und zwingt, sich heimlich zu wenden,
wie Einer, verwirrt, dass er schwärmt.
In seinen ach runzligen Händen
hält er ein Buch schwarz gebunden.
Sein Lesen, sein Seitenwenden
ist mühsam, die Blicke bekunden
fast ängstlich verhüllte Erregung
Eines, der wieder gefunden,
was nicht durch Zufallsbewegung
sich vor den Blicken entfaltet.
Betroffen sehn wir die Regung,
ahnend: was mächtig hier waltet,
hat uns von dem Alten geschieden.
Er glüht, wir waren erkaltet.
Gott, lass ihn noch sehen hienieden,
dass wir uns einträchtiglich sammeln,
erkennend den Sinn und den Frieden.
Worte, vertraute, ihm stammeln –
Lass uns, ihm endlich verbunden,
Gott nennend uns Alle versammeln.
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