Five o´clock
Im braunen Lederzimmer Kirchenstühle,
Lastend, hager, violett gebeizte. . .
Fraisefarbnen Sammet strahlt der matt geheizte
Kamin, Reflexe zittern auf der Diele -
Wie deutsch ich mich in diesen Wänden fühle!
Ein Sentiment, das sonst zum Lächeln reizte,
Umhüllt mich: Der noch nie mit Pointen geizte,
Wird wohlig-bourgeois, streckt sich auf dem Pfühle
Des mütterlichen Sofas, ahnt den Segen
Von Häuslichkeit, Beruf und Kapital.
Die Paradoxe zaudern; halb verlegen
Nimmt er den Tee und fühlt durchaus sozial
Und spricht von Botticelli und vom Regen -
Und spürt die ewigen Werte der Moral.
Arthur Kronfeld, aus: Die Aktion, Nr. 9, 17. April 1911
Der Verlorene
Er taucht in Nacht. Die rotgeschwellten Lider
Schließen sich halb; fahl ist sein Blick und fern.
Fremdrot, verblutet, hohl erloschner Stern.
Ein Zucken kriecht ihn durch die müden Glieder.
„Lass mich. . . Und ruf Gestorbnes mir nicht wieder.“
Doch ich: „So treibt aus dem verdorrten Kern
Kein Same mehr? Opferst denn du dich gern
Zufriednem Hohn der Knirpse? - Er sieht nieder:
„Nein. . . Aber flutwärts treibt mein welkes Boot
Vor sattem Wind des Spottes, der nicht denkt.“
- „Doch di bist´s, dem im Watt die Leuchte loht!
Sei du es, der mit eignem Nerv es lenkt,
Lachend der Schäume, die umsonst gedroht!“
- Da weint er, zag und tot und grabversenkt. . .
Aus: Die Aktion, Nr. 13, 15. Mai 1911
Bekannte
Der fettig Lächelnde aus Oesterreich
Reicht zu jovialem Gruße mir die Hand.
Franziska lehnt zerrissen an der Wand ;
Hassblitzend mustert sie und geil und bleich
Mich und den fettigen Herrn aus Oesterreich.
Er stellt uns beide vor, und formgewandt
Verzieht er sich. Ich bin korrekt-galant,
Sie fassungslos. Ich werde plötzlich weich
Und sage leise: Zartes junges Tier,
Hast Du denn Angst? und Ekel?
Zieht Dich nicht
Unter der Schwelle rassig fahle Gier
Dennoch hinüber in das heiße Licht?
Du schriebst mir . . . und doch Ekel? und vor mir ? —-
Sie senkt die Lider. Und ich schweige schlicht.
Aus: Der Sturm, Nummer 61, 29. April 1911
Frühling
Dick und sprachlos stehn zwei gelbe Rinder
Auf der grünen Wiese, wie zwei Flecke.
Hinter rosaweiß punktierter Hecke
Orgelt stramm, in schmutzigem Zylinder,
Ein Soldat gewesener Binder.
Und sein Rhesusfreund in greller Decke
Denkt zerfurcht dem ärgerlichen Zwecke
Dieses Orgelns nach und lockt die Kinder.
Alle stehn sie, rot und ungewaschen,
Glotzend, aufgeplustert, wie die Kröten;
Eins wagt nach dem Tierchen zag zu haschen.
Fette Töne purzeln, kollern, flöten?
Und ein milder Herr greift in die Taschen,
Interesselos, doch mit Erröten.
Aus: Der Sturm, Nummer 65, 10. Juni 1911
Arthur Kronfeld, geboren am 9. Januar 1886 in Berlin; gestorben am 16. Oktober 1941 in Moskau) war ein deutsch-russischer Psychotherapeut, Psychologe, Sexualwissenschaftler und Wissenschaftstheoretiker, sowie darüber hinaus auch politisch engagiert. Er war philosophisch geschult und hatte künstlerische Neigungen, war doppelt promoviert und wirkte zuletzt als Professor an der Charité der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin sowie im Moskauer Exil am „Neuropsychiatrischen Forschungsinstitut der UdSSR Pjotr B. Gannuschkin“, dem heutigen „Forschungsinstitut für Psychiatrie“. Dort nahm er sich, als der Einmarsch der deutschen Truppen drohte, unter ungeklärten Umständen zusammen mit seiner Frau Lydia das Leben.
Das Foto zeigt Arthur Kronfeld 1919
Dennoch hinüber in das heiße Licht?
Du schriebst mir . . . und doch Ekel? und vor mir ? —-
Sie senkt die Lider. Und ich schweige schlicht.
Aus: Der Sturm, Nummer 61, 29. April 1911
Frühling
Dick und sprachlos stehn zwei gelbe Rinder
Auf der grünen Wiese, wie zwei Flecke.
Hinter rosaweiß punktierter Hecke
Orgelt stramm, in schmutzigem Zylinder,
Ein Soldat gewesener Binder.
Und sein Rhesusfreund in greller Decke
Denkt zerfurcht dem ärgerlichen Zwecke
Dieses Orgelns nach und lockt die Kinder.
Alle stehn sie, rot und ungewaschen,
Glotzend, aufgeplustert, wie die Kröten;
Eins wagt nach dem Tierchen zag zu haschen.
Fette Töne purzeln, kollern, flöten?
Und ein milder Herr greift in die Taschen,
Interesselos, doch mit Erröten.
Aus: Der Sturm, Nummer 65, 10. Juni 1911
Arthur Kronfeld, geboren am 9. Januar 1886 in Berlin; gestorben am 16. Oktober 1941 in Moskau) war ein deutsch-russischer Psychotherapeut, Psychologe, Sexualwissenschaftler und Wissenschaftstheoretiker, sowie darüber hinaus auch politisch engagiert. Er war philosophisch geschult und hatte künstlerische Neigungen, war doppelt promoviert und wirkte zuletzt als Professor an der Charité der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin sowie im Moskauer Exil am „Neuropsychiatrischen Forschungsinstitut der UdSSR Pjotr B. Gannuschkin“, dem heutigen „Forschungsinstitut für Psychiatrie“. Dort nahm er sich, als der Einmarsch der deutschen Truppen drohte, unter ungeklärten Umständen zusammen mit seiner Frau Lydia das Leben.
Das Foto zeigt Arthur Kronfeld 1919
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