Keine Zeile!
Laß gut sein! Wenn dein Brief ihr nicht gefiel,
Was tut's? Ein Ende hat ein jedes Spiel;
Zu langes Plaudern macht' ihr lange Weile.
Vielleicht auch fand sie einen andern jetzt,
Der sich anbetend ihr zu Füßen setzt.
Du tatest's nicht! Ganz recht. Doch - keine Zeile!
Was soll sie schreiben? Daß sie deiner satt,
Daß aus dem Liebesalmanach ein Blatt
Herausgerissen ward in aller Eile?
Ob sie's als Zigarette heut verraucht,
Ob sie's als Lockenwickel gar gebraucht,
Wer weiß? Mir gleich! Und dennoch - keine Zeile!
Aus: Weltwirbel Gedichte von Edgar Steiger
Egon Fleischel & Co Berlin 1916
Edgar Steiger, geboren 13. November 1858 in Egelshofen, Schweiz, heute Kreuzlingen; gestorben 23./24. Oktober 1919 in München, Schriftsteller und Journalist. Nach einigen Jahren des Studiums der Theologie und Philosophie floh er der Enge der konservativ-religiösen Familie nach Leipzig und brach schlussendlich das Studium ab. Ab 1884 versuchte er sich als Schriftsteller und Theaterkritiker bis er in der jungen Sozialdemokratie eine Heimat fand.
Seit 1913 kämpfte er beim „Schutzverband deutscher Schriftsteller“ (SDS) für höhere Zeilenhonorare für Journalisten. Als die Papierknappheit im Krieg dazu kam wurde es für Steiger und andere Journalisten unmöglich mit ihrem Beruf Geld zu verdienen. Krieg, Verarmung und Hunger hatten Edgar Steigers Lebenskräfte erschöpft. Er starb in der Nacht vom 23. auf 24. Oktober 1919 an einer akuten Lungenentzündung.
„Wohl sagt ihr Herrn, daß alles, alles feil,
Daß Liebe, Unschuld, Leib und Seelenheil
Mit einer Handvoll Gold sich kaufen lasse.
Als Hure geht die Tugend auf der Gasse
Und wirft verstohle Blicke rechts und links
Zur Lust des Promenadenschmetterlings,
Und scheint sie dir den frechen Wunsch zu weigern,
Sie tut es doch nur, um den Preis zu steigern.
Und doch, ihr Herrn, mit allem euerm Gold,
Das flink durch die geschäft'gen Finger rollt,
Eins weiß ich, was euch heut und ewig quält,
Was immer auf der durst'gen Lippe zittert
Und euch den Tag vergällt, die Nacht verbittert
Und noch im Arm des schönsten Weibes quält.
Und dieses Eine, das kein Gold ergattert,
Das höhnisch stets ob euern Häupten flattert,
Das euch kein Gott noch Teufel geben kann,
Ich hab's, ich hab's, ich armer sel'ger Mann!
Denn da, wo Furcht und Hoffnung stets euch plagen,
Kenn ich das Wort, das Glück und Frieden gibt,
Ich weiß und fühl's und darf es kecklich sagen,
Daß mich ein Weib um meinetwillen liebt.“
Aus dem Gedicht „Marianne“ in Weltwirbel Gedichte von Edgar Steiger,Egon Fleischel & Co Berlin 1916
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