Herbst in Babelsberg
Den Herbstwald schau! So stirbt die junge Welt.
Mit Gold und Rot und allen Königsfarben
Schmückt sie sich für den Tod gleich wie ein Held
„Ich glaub nicht an den Tod. Nur Tote starben.“
So komm heraus mit mir zum Waldesrand.
Die Wiese überspannen Nebelbrücken.
Sie reichen weit. Von hier zum Totenland. -
O weh das Nichts will alles ferne rücken.
Wo du auch seist, die Welt umschließt dich gut.
Steig ein ins Boot. Hier wartet unsere Fähre.
Schon gleiten wir. Du Tor, braucht´s keinen Mut
Du bist schon leicht. Es sinkt nur Erdenschwere.
Gib deine Hand. Ich taumle sonst ins Grau.
Das Grau ist tief. - Nun schwimmt ein silbrig Flimmern
Um unseren Kahn. - Am Steuer Charon, schau!
Viel Geisterarme durch den Nebel schimmern.
Dort steigt ein Bau aus trüber Flut empor,
Von Luft geformt - Ob Kirche, ob Palast?
Und Sterbeglocken tönen an mein Ohr:
Nur still, du bist des Todes ewiger Gast.
Oktober 1913
Lotte Brunner (1883-1943), Lehrerin und Schriftstellerin, aus: Gedichte 1903 - 1942, handschriftliches Manuskript, Leo Baeck Institute, New York
Der Stiefvater von Lotte Brunner war Constantin Brunner (geboren am 27. August 1862 in Altona; gestorben am 27. August 1937 in Den Haag), eigentlich Arieh Yehuda Wertheimer (Rufname Leo), Philosoph, Schriftsteller, Literaturkritiker.
1895 heiratete er Rosalie, geb. Auerbach, die sich künftig Leonie nannte, in Anlehnung an Brunners Rufnamen Leo. Mit ihrer Tochter Elise Charlotte, geb. Auerbach, die fortan den Namen Lotte Brunner trug, verband Brunner später ein intensiver Austausch über Literatur und Philosophie. Lotte Brunner veröffentlichte unter dem Pseudonym E. C. Werthenau und führte von 1903 bis 1932 ein Tagebuch über Bemerkungen Brunners zu seiner Philosophie und über Besuche und Gespräche im Hause Brunners. Leonie und Lotte Brunner wurden im Februar 1943 im Lager Westerbork inhaftiert und im März 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet.
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