Samstag, 9. September 2023

Salomo Friedlaender: Klage des Hirten

 



Klage des Hirten

Nichts klagt so endlos in die himmelblauen
Schlaftrunknen Abendtäler wie die selten
Erhörten Hirtenlieder, die von Welten
Hallen fern aller Heimat und Vertrauen.

Sie flößen bunten Wahnsinn, irres Grauen
Schwermütig in das Herz; die halb erhellten
Gründe blühn purpurn, da sie wund vergellten
Färbend mit Blut und Einsamkeit die Auen.

Ihr Abend Rufendes im Ton der stirbt
Rieselnd von Stern zu Sternen ins Vergeßne
Abklingend wie das Licht fieberhaft rot

Haucht Ahnungen verschollnen Glücks, das wirbt
Verwunschen singt und winkt ins Unermeßne -
Wir folgen traumwandelnd, sonderbar tot.

S(alomo). Friedlaender, aus: Die Aktion, Nr. 24, 31. Juli 1911

Salomo Friedlaender, geboren am 4. Mai 1871 in Gollantsch bei Posen; gestorben am 9. September 1946 in Paris.

Unter dem Pseudonym Mynona (Anonym rückwärts gelesen) debütierte Friedlaender in expressionistischen Zeitschriften, wie Der Sturm, Die Aktion, der Jugend oder den Weißen Blättern. 1919 gründete er zusammen mit dem jüngeren Bruder seines Essener Schwagers Salomon Samuel, Ernst Samuel, der sich als Autor und Publizist Anselm Ruest nannte, ebenfalls in Berlin den Stirner-Bund und die nach Stirners Hauptwerk Der Einzige und sein Eigentum benannte Zeitschrift Der Einzige.


Die Texte Friedlaenders kombinieren expressionistische und dadaistische Elemente mit den Formen der Groteske und Parodie, wodurch er der literarischen Avantgarde neue Impulse verlieh. Viele seiner Texte beinhalten überdies scharfzüngige Gesellschaftskritik. Er selbst sah sich als eine Synthese von Immanuel Kant und Charlie Chaplin.

Wenige Wochen nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten emigrierte Friedlaender nach Paris. Dort starb er verarmt im Alter von 75 Jahren am 9. September 1946.

Das Bild ist von Adolphe Valette (1876 - 1942)

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