Donnerstag, 21. September 2023

Moritz Heimann: Adams erste Nacht

 



Adams erste Nacht


Weißt du von Adams erster Nacht?
Denn als die Sonne seinem ersten Tag sank,
da kannt´ er ihr Gesetz noch nicht. Und schon
durchschauerte es ihn, als er sie sah,
die, seinem Auge unnahbar, am Himmel
gewandert war. Und als sie nun sich neigte
zum Erdrand, ihr reines Licht verdüsternd,
beschleunigend den Lauf, wie alles, was endet,
ergriff ein Wahn ihn, eine Angst und endlich
eines Entsetzens schwere Woge, die ihn trug,
daß oben ihm und unten, rechts und links
im Taumel seiner Seele sich verwirrte.
Denn nun verlosch des Himmelslichtes Gruß.
Schnell kam die Nacht und wischte Glanz und Leuchten,
in immer engeren Kreisen ihn bedrängend,
von dem Erschaff´nen der fünf Gottestage.
Da glaubt´ er seinen Gottestag zu Ende,
Was Seligkeit für uns, ihm war es Hohn;
die Sterne des Gewölbes blitzten auf.
Beruhigend und Grauen spendend,
so furchtbar ewig.
Sich in die Haare raufen, fluchen, flehen,
ihn wie ein irres Tier im Kreise laufen - - -;
denn seine Augen hatte schon der eine Tag
des Menschenauges alle Gier gelehrt;
ihn reizte, auszuspäh´n, die wogende,
vertiefte hier, dort schwach erhellte Nacht.
Oh, damals, lange vor dem Sündenfall,
hat in den Lüften seiner Kinder Schicksal
er wohl gewittert. Verstummt der Vögel Sang;
doch horchend stumm. Und was im Schlafe laut ward,
erschien ihm da schon, was es uns erscheint:
des Würgers und Gewürgten Dankeslied.
Und plötzlich fuhr ein Wehen durch die Blätter,
ein Kälteschauer rauhete die Haut
dem Elenden; und als er um sich sah,
da tauchte in bleiblauer Blässe wieder
die Welt ihm auf. Schon schossen weiße Lichter
durch Gottes Wolken, schon erglüht´ es auf,
gereinigt, überm fernen Rand der Erde.
Der Dämm´rung Tore sprangen donnernd auf,
als wollten eine neue Sonne sie
aus ihrer Haft entlassen, ungeheuer,
groß wie des Horizontes Morgenglut.
Dann aber kam´s empor,
so klein, daß zweier Menschenarme Ring
es fassen könnten, aber in dem Ring,
dem kleinen Ring, mehr Flammenkraft verknotet,
als seines Traumes Riesensonne maß,
da sank er auf die Knie hin und weinte,
und sagt - : dort schwebt sie überm Tal,
beschleunigend den Lauf, wie alles, was anfängt.
Wir knien nicht. Nun denn, so möcht ich doch,
daß mir die Sonne jeden Morgen käme
so jubelnd wie unserm Vater Adam
nach jener ersten - ersten Menschennacht - -

Aus: Moritz Heimann - Drei Gedichte nach dem Talmud, Menorah. Jüdisches Familienblatt für Wissenschaft, Kunst und Literatur, Hg. von Norbert Hoffmann, Wien, Frankfurt am Main, Berlin 1923-1932

Moritz Heimann, am 19. Juli 1868 in Werder bei Rehfelde in der Mark Brandenburg geboren; verstarb am 22. September 1925 in Berlin, Schriftsteller, Kritiker und Lektor. Er schrieb unter anderem auch für die Weltbühne. Für den Fischer Verlag arbeitete er fast dreißig Jahre als Lektor. 

Das Portrait von ihm fertigte Emil Orlik (1870 - 1932)

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