Freitag, 22. September 2023

Ophelia - David Goldfeld, Georg Heym, Peter Huchel, Arthur Rimbaud

 



Ophelia

Wie leise glitt um dieses Angesicht
die Flut, dass sich so sanft die Lider schlossen!
Ihr Wellen, die ihr traurig sie umschlicht,
wie ist dies Blühen um den Mund entsprossen?

O Morgen, der ihr zartes Schlummern fand
an seinem Ufer, unter blassen Sternen,
o küssest du der süssen Stirne Rand,
dass sie so friedlich schlummern darf uns Fernen?

Die Wasser lösten zärtlich ihr das Haar -
Ich weiss die Weisen, die sie dazu sangen.
Ich ahne, wie ihr Sterben glücklich war - - -
Doch ach, was strafft so herb die fahlen Wangen?

Aus: David Goldfeld (1904  -  1942) Der Brunnen Gedichte Herausgegeben und mit einem Nachwort von Helmut Braun
Rimbaud Verlagsgesellschaft mbH Aachen 2010



Ophelia

I

Im Haar ein Nest von jungen Wasserratten,
Und die beringten Hände auf der Flut
Wie Flossen, also treibt sie durch den Schatten
Des großen Urwalds, der im Wasser ruht.

Die letzte Sonne, die im Dunkel irrt,
Versenkt sich tief in ihres Hirnes Schrein.
Warum sie starb; warum sie so allein
Im Wasser treibt, das Farn und Kraut verwirrt?

Im dichten Röhricht steht der Wind. Er scheucht
Wie eine Hand die Fledermäuse auf.
Mit dunklem Fittich, von dem Wasser feucht
Stehn sie wie Rauch im dunklen Wasserlauf,

Wie Nachtgewölk. Ein langer, weißer Aal
Schlüpft über ihre Brust. Ein Glühwurm scheint
Auf ihrer Stirn. Und eine Weide weint
Das Laub auf sie und ihre stumme Qual.

Aus: Georg Heym (1887 - 1912) Dichtungen und Schriften Gesamtausgabe
Herausgegeben von Karl Ludwig Schneider Band 1 Lyrik
Verlag Heinrich Ellermann 1964


Ophelia

Später, am Morgen,
gegen die weiße Dämmerung hin,
das Waten von Stiefeln
im seichten Gewässer
das Stoßen von Stangen,
ein rauhes Kommando,
sie heben die schlammige
Stacheldrahtreuse.

Kein Königreich,
Ophelia,
wo ein Schrei
das Wasser höhlt,
ein Zauber
die Kugel
Am Weidenblatt zersplittern läßt.

Peter Huchel (1903 - 1981) aus: Gezählte Tage, 1972


Ophelia

I.

Auf stiller, dunkler Flut, im Widerschein der Sterne,
geschmiegt in ihre Schleier, schwimmt Ophelia bleich,
sehr langsam, einer großen weißen Lilie gleich.
Jagdrufe hört man aus dem Wald verklingen ferne.

Schon mehr als tausend Jahre sind es,
daß sie, ein bleich Phantom, die schwarze Flut hinzieht,
und mehr als tausend Jahre flüstert schon sein Lied
ihr sanfter Wahnsinn in den Hauch des Abendwindes.

Die Lüfte küssen ihre Brüste sacht und bauschen
zu Blüten ihre Schleier, die das Wasser wiegt.
Es weint das Schilf, das sich auf ihre Schulter biegt.
Die Weiden über ihrer hohen Stirne rauschen.

Im Schlummer einer Erle weckt sie hin und wieder
Ein Nest, aus dem ein kleines Flügelflattern schlägt.
Die Wasserrosen seufzen, wenn sie sie bewegt.
Ein Weiheklang fällt von den goldnen Sternen nieder.

II.

Ophelia, bleiche Jungfrau, wie der Schnee so schön,
die du, ein Kind noch, starbst in Wassers tiefem Grunde:
weil dir von rauher Freiheit ihre leise Kunde
die Stürme gaben, die von Norwegs Gletschern wehn.

Weil fremd ein Föhn, der dir die Haare peitschte, kam
Und Wundermär in deinen Träumersinn getragen;
weil in dem Seufzerlaut der Bäume und im Klagen
der Nacht dein Herz die Stimme der Natur vernahm.

Weil wie ein ungeheures Röcheln deinen Sinn,
den süßen Kindersinn, des Meeres Schrei gebrochen;
weil schön und bleich ein Prinz, der nicht ein Wort gesprochen,
im Mai, ein armer Narr, dir saß zu deinen Knien.

Von Liebe träumtest du, von Freiheit, Seligkeit;
du gingst in ihnen auf wie leichter Schnee im Feuer.
Dein Wort erwürgten deiner Träume Ungeheuer.
Dein blaues Auge löschte die Unendlichkeit.

III.

Nun sagt der Dichter, daß im Schoß der Nacht du bleich
die Blumen, die du pflücktest, suchst, in deine Schleier
gehüllt, dahinziehst auf dem dunklen, stillen Weiher,
im Schein der Sterne, einer großen Lilie gleich.

Arthur Rimbaud deutsche Übersetzung von Karl Klammer (1907)


Ophelia

1

Auf stiller, schwarzer Flut, im Schlaf der Sternenfeier,
Treibt, einer großen Lilie gleich, Ophelia,
Die bleiche, langsam hin in ihrem Schleier.
Man hört im fernen Wald der Jäger Hallala.

So, weißes Traumbild, länger schon als tausend Jahre,
Ophelia auf dem schwarzen Wasser traurig zieht;
Ihr sanft verstörter Geist, schon mehr als tausend Jahre,
Singt leis im Abendhauche sein romantisch Lied

Der Wind küsst ihre Brust und bauscht des Schleiers Seide,
Wie eine Dolde auf, vom Wasser sanft gewiegt,
Auf ihrer Schulter, leis erschauernd, weint die Weide,
Auf ihrer großen Stirne Traum das Schilfblatt liegt.

Die Wasserrose seufzt, berührt von ihrem Schweben,
Zuweilen, aus dem Schlaf in einem Erlenbaum,
Weckt sie ein Vogelnest, draus bang sich Flügel heben.
Geheimnisvoll fällt Sang aus goldner Sterne Raum.

2

O du, so schön wie Schnee, Ophelia, du bleiche,
Du starbst, von einem Strom fortgerissen, Kind!
Denn, leisen Lautes, von der herben Freiheit Reiche
Sang in Norwegens hohen Bergen dir der Wind.

Ein unbekannter Hauch hat seltsam arge Kunde,
Dein Haar durchwühlend, deinem Träumergeist gebracht;
Dein Herz, es fühlte sich mit der Natur im Bunde,
Hört klagen es im Seufzerlied der Nacht.

Des Meeres toller Ruf, ein Stöhnen, groß und bitter
Zerbrach dein Kinderherz, zu menschlich und zu weich;
Und eines Morgens im April, ein Ritter
Saß stumm an deinen Knien, so verstört und bleich.

Vom Himmel, Liebe, Freiheit hat dein Traum gesprochen,
Dran, Törin, du zergingst, wie Schnee, von Glut verzehrt.
Erstickt von tiefer Schau ist dir dein Wort zerbrochen.
– Des Alls Entsetzen hat dein blaues Aug zerstört.

3

Der Dichter sagt, dass in der Nächte Sternenfeier
Du die gepflückten Blumen suchst, dass er gewahrt,
Hintreibend auf der Flut, auf ihrem langen Schleier,
Ophelia, große, weiße Lilie, gebahrt!

..
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Aus Rimbaud: Sämtliche Dichtungen. Französisch und deutsch. Übers. Walther Küchler. Lambert Schneider, Heidelberg 1946

Arthur Rimbaud (20. Oktober 1854 in Charleville; 10. November 1891 in Marseille) war ein französischer Dichter, Abenteurer und Geschäftsmann. Heute gilt er als einer der einflussreichsten französischen Lyriker. (wiki)

Das Bild ist von John Everett Millais, (1851–1852)

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