Mittwoch, 13. Dezember 2023

Artur Fencl: Lebenslied / Rast auf halben Weg

 



Lebenslied

Du ewiger Wandel im bunten Kleid,
Zeit, Raum, Leben, Tod und Ewigkeit!
Ich pflücke die Goldfrucht vom Lebensbaum
und träume den uralten Menschheitstraum:
von der Freiheit wie Frühsonnengold so rot,
von schäumender Freude, von harter Not.
Der Tag war mir düster, die Nacht war mir hell,
an des Tages Tafeln bin ich Rebell,
ein Verbrecher an den Gesetzen der Zeit
und ein Gläubiger an die Ewigkeit.
An die Ewigkeit, die der Freiheit gehört
und Tafeln aller Tage zerstört.


Rast auf halben Weg

Der Weg vor mir:
ein dunkles Tor,
eine offene Tür
und die Nacht davor.
Was hinter mir liegt?
Das, was ich besiegt.

Artur Fencl

"Der Tod gleicht alles aus. Artur Fencl ist, sechsundzwanzigjährig, vor einigen Wochen gestorben. Er war ein Dichter und ein Original in des Wortes gutem Sinne. Im Kampf des Lebens kamen wir auseinander, nachdem wir Beide durch sein Verschulden kurz nach Kriegsausbruch drei Monate erfolgloser Untersuchungshaft unter dem Verdacht der Geheimbündelei im Wiener Landesgericht verbrachten. Nun ist er, der Sprecher der Geächteten, die man bei Tag nicht grüßt, der Tuberkulose erlegen. Im Alter von neunzehn Jahren gab er einen Novellenband: „Wege, die wir gehen müssen“, heraus. Deutlicher zeigte sich sein eigenartiges Können in dem 1914 erschienen Gedichtband „Sumpfblüten“, der freilich auch ungekaute Verse enthält, aber ein Ruf aus der Tiefe des Großstadtlebens war und bleibt. In den Gedichten vorangehenden Einleitungsworten spricht Artur Fencl Dinge, die ans Herz greifen. Dass seine frühe Jugend - Fencls Vater soll ein hoher Offizier gewesen sein - in goldene Flut von Wohlhabenheit und Güte getaucht war und dass die Gedichte Erlebnisse behandeln, die er im Bruch gemacht hat. Fencl, der wirklich Perlen im Morast zu finden wusste, hatte einen Großstadtroman in Arbeit. Welches Schicksal dieses Manuskript nun finden mag? Fencl war Anarchist und dichterischer Anwalt jener Frauen, die der Bürger Tags verachtet. Einige seiner letzten Geichte seien hierher gesetzt.

Nun ist Fencl auf halbem Weg durchs dunkle Tor zur Rast gegangen. Die Erde sei ihm leicht!"

Karl F. Kocmata. aus der Zeitschrift Ver!, herausgegeben von ihm, Doppelheft 16 / 17, Juni 1918

Karl Franz Kocmata, (16. Januar 1890, Wien – 29. November 1941, Wien), Pseudonym Karl Hans Heiding, war ein österreichischer Schriftsteller, Dichter, Zeitschriftenherausgeber und später Anarchist. Er war mit Erich Mühsam befreundet.

Das Bild ist von Henryk Szczyglinski (1881 - 1944)

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