Lieder
Deine Augen ruhen auf mir
kaum kann ich sie tragen
Frieden
schenke deinen Händen
sie erheben sich bei deinen Worten
demütig
ein betend Volk
Wein
bis du in allen Adern
trunken finden die Gedanken nicht
herzaus herzein
tasten alle hin an deiner Stimme
den verwirrten Weg
entlanggeführt.
* * *
Nicht mehr wandern darf ich durch dein Antlitz
plötzlich falle ich in deiner Augen
tiefe Schlucht
alle Berge schlagen über mir zusammen
mit den Wellen deines Haars
wirf des Lachens Rettungsring
ganz dünn
ist meine Stimme
und wird zerreißen
meinen Wurzeln schließt die Hand dein Felsen
und des Auges Rose liegt gebrochen
du bist blauer Himmel
ich die Wolke
die sich fest an deinen Nacken klammert
sich nicht halten kann
und tausendfingrig
regenschreckt erdhin
den Wiesengrund
und dort hinsinkt himmellosgelöst auf ihr weiches Knie
* * *
Garnicht aufstehn mögen meine Augen
denn der Weg, den sie einst gingen
steht jetzt voller Widersprüche
Haben sie sich kaum erhoben
schlägt sie schon ein neu Geschehen
wie mit Ruten nieder.
Darum weichen sie hin nach der Heimat
allen fremden Worten aus
werden tief wie je ein Brunnen
und Erinnerung zerreißt den Spiegel
Tage tauchen auf
ganz maidurchdrungen
Primeln läuten durch das Wiesengrün
und das Flattern bunter Pfauenaugen
Blumen finden nicht mehr ihren Duft
ganz versunken in dem Rausch der Farben
Zweige zwitschern
grünhin summt das Gras
eine Spinne spinnt feinwunderwas
und die Bäume
schäkern mit den Tauben.
* * *
Eis den Weg entlang
knisternde Seide
sehnsuchtsvogelflüchtig
wangenheiß
jagt das Blut pulslang bis in die Sterne
Scholl' um Scholle
treibend Eis
Tannenwälder duften hoch
die Worte fallen
leishin wie Zapfen
moosgedämpft
und tief waldinnen
Kinderlacht das Herz
im Krippenschoß
wenn durch der Adern Zweige
wieder loht die Weihnachtszeit.
Wilhelm Runge, aus: Der Sturm, Nummer 21 - 22, 1 Februar 1916
Wilhelm Runge, geboren am 13.6.1894 Rützen/Schlesien, am 22.3.1918 bei Arras „gefallen“. In Schlesien aufgewachsen, ging Wilhelm Runge 1914 als Kriegsfreiwilliger an die Front. Vor Ypern wurde er im Nov. 1914 verwundet, 1915 kam er nach Berlin u. studierte Medizin. Dort schloss er sich dem »Sturm«- Kreis um Herwarth Walden an. Besonders eng befreundete er sich mit Georg Muche, damals Lehrer an der Kunstschule des »Sturm«, und dessen Braut Sophie van Leer. Im »Sturm« erschien fast seine gesamte Lyrik. Anlässlich seines frühen Todes schrieben Franz Richard Behrens, Kurt Heynicke u. Walter Mehring poetische Nachrufe; Muche widmete ihm ein Ölgemälde zum Gedächtnis. Das einzige Buch, der Gedichtband Das Denken träumt (Berlin 1918), wurde von Wilhelm Runge noch im Feld korrigiert, aber erst nach seinem Tod veröffentlicht.
Das Bild ist von Odilon Redon (1840 - 1916)
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