Freitag, 1. Dezember 2023

Vier Dichterinnen, vier Schicksale: Ite Liebenthal, Marianne Dora Rein, Margarete Eloesser, Gertrud Epstein

 



Was ich von dir nicht weiß und nicht erriet
aus Worten und Gebärden - die noch keiner
gedeutet hat wie ich! - weil ich vermied,
an dir zu rätseln und dich so viel reiner

begriff in deinem Abgeschlossensein,
brach über mich in einem Traum herein:
da sah ich, wie du bist, wenn du dich gibst.
Und deine sanfte Hoheit, wenn du liebst,

war still und spendend über mich geneigt.
Die Schale war ich, die empfängt und schweigt. -
Nun kenn ich dich! Was du mir nie gegeben,
nie geben wirst, ist doch in meinem Leben!

Und ist, - ich stahl nicht, hab es nicht erschlichen! -
als hätte ich's geraubt und wär entwichen,
und straft mich schwer, wie Heiliges ergrimmt,
das freche Hand von seiner Stätte nimmt.

Und ward mir doch gereicht und offenbart,
als meine Seele dalag unbewahrt
und ungewarnt, - und hilflos, tagvergessen
hinnahm, was ihrem Los nicht zugemessen.

Ite Liebenthal, aus: Gedichte, Erich Lichtenstein Verlag, Jena 1921

Ite Liebenthal, Lyrikerin, geboren am 15. Januar 1886 in Berlin. Auch als ihre Schwester Erna und ihr Bruder Werner nach der Machtergreifung der Nazis emigrierten, blieb Liebenthal in Berlin. Zuletzt wohnte sie als Untermieterin in der Hektorstraße 3 in Berlin-Halensee. Am 27. November 1941 wurde sie zusammen mit 1052 anderen deutschen Juden vom Bahnhof Grunewald aus nach Riga deportiert.

Auch die Dichterin Marianne Rein wird am 27. November 1941 zusammen mit ihrer Mutter mit dem ersten aus Würzburg abgehenden Transport zusammen mit weiteren 200 Personen, darunter 40 Kindern und Jugendlichen, deportiert.

Die Deportierten wurden, so eine Überlebende, in den eiskalten Wirtschaftsgebäuden des Jungfernhofes bei Riga untergebracht. Von dort gingen ab Februar 1942 Transporte ab, zuletzt am 26. März 1942 ein Transport mit ca. 1700 Menschen. Alle Abtransportierten wurden am gleichen Tag in einem Wald bei Riga erschossen.

Der Dulder

Alle Worte haben mich verlassen.
Alle Seufzer werden stumm in meinem Munde.
Ach, ich leide.
Wüssten es die andern, wie ich leide,
weiser würden sie an meinen Schmerzen.
Doch ich schweige.

Marianne Dora Rein

Auch die Dichterinnen Margarete Eloesser und Gertrud Epstein wurden nach Riga deportiert.

Das Ziel des Deportationszuges, der am 25. Januar 1942 den Bahnhof Berlin-Grunewald verließ, hieß nicht Theresienstadt, sondern Riga. Die Fahrt dauerte zwei bis drei Tage. Historiker haben das Schick sal der Deportierten nach der Ankunft des Zuges auf dem Rangierbahnhof Skirotawa, etwa acht Kilometer nordöstlich von Riga, rekonstruiert. Nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft wurden die Deportierten zunächst ins Ghetto gebracht. Was danach mit ihnen geschah, liegt nach wie vor im Dunklen.

Trüber Tag

Grau ist der Himmel und so nah;
Leise Klage tropft der Regen –
Als ich aus dem Fenster sah,
Sprüht’s durchschaudernd mir entgegen –
Als ich still das Fenster schloß,
Fühlt ich dumpf mich und gefangen –
Und in meine Augen schoß
Jenes Nass, dem ich entgangen –
Und mit Augen – tränenblind –
Seh‘ ich durch getrübte Scheiben
Regenschleier, die vom Wind
Umgewirbelt ziellos treiben.

Margarethe Eloesser, aus: Vossische Zeitung, 1. August 1926


November

Ein Novembertag ist’s, grau in grau,
Und die ersten Flocken fallen –
Leise, leise tropft der weiße Tau,
Zögernd – feuchte Nebel wallen –
Schnell verschlungen ist der weiße Glanz,
Traurig starrt die nackte Erde –
Und mit fröstelnder Gebärde
Hüllt sie sich in Nebelschleier ganz.

Margarethe Eloesser, aus: Vossische Zeitung 14. November 1929


Verona


Am dunklen Bahnhof quillt die helle Stadt,
die um dich rauscht wie altes Seidenkleid.
Der Himmel ist ein blaues Jenseits;
weit umrundet Römerstein dich jäh; und glatt
und steil umkerkern dich die ew‘gen Stufen. –
Doch daß du nicht erstarrst in Rom und Stein,
steh’n Tische auf der Straßen Gegenwart,
und bieten dir den weichen, roten Wein,
Musik und Eis. Doch schon fällt hart
und dunkel dir ein Danteschatten drauf,
von dem hinweg dich lachend rufen
nach ihrem Markt des Südens pralle Früchte. –
In Blumen träumt ein graues Liebesgrab.
Und alles glüht noch himmlischer erhöht,
wenn von der Adria ein Windhauch weht,
dem sie das blaue Wort „Venedig“ gab.

Gertrud Epstein, aus: Vossische Zeitung, 12. August 1928

„Eine besondere Anlage besitze ich in künstlerischer Hinsicht. Es sind lyrische Gedichte von mir in der Vossischen Zeitung und anderen Zeitschriften veröffentlicht, auch Märchenstücke für Kinder wurden von mir verfasst und mit gutem Erfolg aufgeführt. Diese Tätigkeit werde ich auch in Montevideo fortsetzen.“

Diese Auskunft über das eigene literarische Schaffen enthält der Lebenslauf, den Margarete Eloesser am 24. Juni 1939 in der Hoffnung niederschrieb, ihrer 1937 nach Uruguay emigrierten Tochter Elisabeth nachfolgen zu können. Doch Am 23. Oktober 1941 unterbindet das Reichssicherheitshauptamt die Auswanderung von Juden durch ein allgemeines Ausreiseverbot. Bereits kurz vor diesem Verbot werden am 18. Oktober 1941 die ersten Juden aus Berlin deportiert. Drei Monate später befindet sich Margarete Eloesser unter den 1000 Berliner Juden, die am 25. Januar 1942 mit dem „10. Osttransport“ vom Bahnhof Grunewald aus nach Riga deportiert werden. Dort wurde sie kurz nach ihrer Ankunft ermordet.

Als „schüchterne, dunkle, junge Frau“ beschreibt die Vossische Zeitung Gertrud Epstein 1928, als ihre Erzählung „Hiob“ im Rahmen der „Morgenfeier der Jugend“ in der Funkstunde übertragen wurde. Die Erzählung ist bereits 15 Jahre vorher erschienen, Gertrud Epstein 43 Jahre alt. Es ist ihr einziger bekannter Auftritt in der Öffentlichkeit. Weitere Buchveröffentlichungen nach „Hiob“ sind bisher nicht nachweisbar, auch kein Bild von ihr, Einzelheiten über ihr Leben nur sehr spärlich überliefert. Dass sie vom Judentum zum Christentum konvertiert sei, meldet das „literarische Echo“ in seiner Besprechung von Hiob 1913. Dass sie Kindergärtnerin ist, kann man dem Fragebogen zu ihren Vermögensverhältnissen entnehmen, den sie ein paar Tage vor ihrer Deportation am 2. Januar 1942 ausfüllen musste.

Was bleibt sind zwei Bücher mit Erzählungen, etwas mehr als 20 Texte und Gedichte in der Vossischen Zeitung und Andeutungen darüber, dass es mehr Texte geben muss, irgendwo in alten Zeitungen verborgen.

Das Bild „Le damnés“ (1945) ist von dem Maler Felix Nussbaum, geboren am 11. Dezember 1904 in Osnabrück, ermordet nach dem 20. September im KZ Auschwitz – Birkenau.

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